Rückblick New Work Forum 2019: Digital Human Work − eine Utopie? 9. Januar 2019

Die Digitalisierung führt derzeit zu einschneidenden Transformationen in Organisationen, unabhängig von ihrer Branche. Mitarbeitende benennen die Digitalisierung als Haupteinflussfaktor auf ihre zukünftigen Arbeitsinhalte (Wörwag & Cloots 2018). Mehr denn je drängen digitale Arbeits-, Organisations- und Geschäftsmodelle in die Diskussion. Sie alle suggerieren den richtigen Umgang mit der bevorstehenden Transformation. Dennoch bleibt die Ungewissheit, inwiefern die/der einzelne Mitarbeitende in der täglichen Arbeit tangiert wird, wo Technik unterstützen kann, aber auch wo die Technik tatsächlich den Menschen in der Arbeit substituieren wird. Liegt in der Digitalisierung das Heil der Befreiung von unliebsamen Arbeiten oder nimmt sie uns künftig attraktive Aufgabenfelder weg?

Medienartikel vorgängig zum New Work Forum 2019 

Programm des New Work Forums 2019

 

Nur 50 Prozent der Mitarbeitenden freuen sich auf die Digitalisierung

Die am 2. St.Galler New Work Forum präsentierte HR-Panel New Work-Studie zeigte, dass gegenüber der Digitalisierung eine beträchtliche Skepsis herrscht, selbst wenn die Mehrheit der Befragten der Digitalisierung Chancen zuspricht. Deswegen forderten die Autoren die Anwesenden dazu auf, den Nutzen, Vorgehen, Umfang und erwartete Veränderungen einer Digitalisierungsstrategie den Mitarbeitenden zu erklären. Möglichkeiten, Lösungen aber auch Herausforderungen wurden in den Olmahallen in St.Gallen an über 20 Workshops diskutiert.

Am 2. St.Galler New Work Forum diskutieren 200 Fachleute und Expertinnen und Experten aus Wirtschaft, Behörden oder Bildungsinstitutionen, ob die zufriedenstellende Zusammenarbeit von Mensch und Maschine eine Utopie oder erreichbar sei. Diese Frage wurde aus der ersten HR-Panel New Work-Studie abgeleitet, in welcher die Befragten der Digitalisierung das grösste und teilweise auch unerwünschte Veränderungspotential zuschrieben. In der zweiten, am 9. Januar 2019 vorgestellten Studie, untersuchen Prof. Dr. Alexandra Cloots, Co-Leiterin des HR-Panel New Work an der Fachhochschule St.Gallen (FHS) und verantwortlich für das Forum sowie ihr Co-Leiter und Rektor der FHS Prof. Dr. Sebastian Wörwag, was die Mitarbeitenden von der Digitalisierung erwarten. Wie sich gezeigt hat, sind das sowohl Befürchtungen wie aber auch Chancen.

Digitalisierung löst im Arbeitsumfeld Sorgen aus

Die Befürchtungen werden dadurch zu Ausdruck gebracht, dass sich lediglich die Hälfte der Befragten und somit die Hälfte der Mitarbeitenden auf die Digitalisierung freut. Gleichzeitig erachtet die Mehrheit der Befragten die Digitalisierung als eine Chance. Als positive Entwicklung wird vor allem das ortsunabhängige Arbeiten erwähnt, als negativer Aspekt, die Zunahme des Leistungsdrucks oder die Routinisierung der Arbeit, beispielsweise durch mehr Dokumentation. Veränderungen, so die Vermutung der Befragten, werden sich vor allem bezüglich Effizienzdenken, Regeln und der Technologisierung niederschlagen. Lediglich 12% erwarten durch die Digitalisierung mehr Menschlichkeit, also, dass die Routinetätigkeit an die Maschine abgegeben werden kann und die Mitarbeitenden sich stattdessen auf die Menschen, die Kunden, Gäste, Arbeitskolleginnen und -kollegen oder Partner konzentrieren können. Während die Skeptiker vor allem bei den Mitarbeitenden über 46 Jahre anzutreffen sind, sind auch Berufseinsteiger bezüglich einzelnen Aspekten skeptisch: Die Jungen sehen eine Gefahr bei der Substituierung des Menschen, also, dass Jobs wegfallen werden.

Die Technologie, so ist sich Michael Baeriswyl, Head of Data, Analytics and AI, Swisscom in seinem Keynote-Referat sicher, wird einen sehr grossen Einfluss auf die Arbeitswelt haben. «Alles was Sie sich vorstellen können, ist technisch möglich und alles was technisch möglich ist, wird irgendwann möglich gemacht werden». Die Binsenwahrheit, dass nichts so konstant ist wie die Veränderung, bewahrheitet sich auch hier und wie Luzia Schuler von workingwell in ihrem Workshop betonte, ist eine Lernkultur, eine Flexibilisierung und eine Vernetzung zentral für den erfolgreichen Umgang mit der Digitalisierung als Teilaspekt von New Work. Dies wiederum bedarf eine neue, angepasste Führung. Wie die HR-Panel New Work-Studie jedoch feststellte, finden sich viele Skeptiker in den Geschäftsleitungen. Demnach verwundert es nicht, dass nur 18% der Befragten eine Veränderung beim Führungsverhalten erkennen. Angesichts all dieser Aspekte, formulieren die HR-Panel New Work-Studienautoren eine zentrale Aufforderung: «Wir müssen gut über den Nutzen, das Vorgehen und den Umfang einer Digitalisierungsstrategie ehrlich und transparent kommunizieren,» so Cloots während der Präsentation.

Künstliche Intelligenz und automatisierte Prozesse erledigen auch Arbeit

Wie eine solche Kommunikation aussehen kann, zeigte Sandra Hutterli, Head of corporate training bei der SBB in ihrem Workshop: In einem für die Mitarbeitenden hergestellten Video werden die positiven Aspekte der Digitalisierung aufgezeigt. Wenn Hutterli dies auch nicht mit den Worten eingeführt hat, dass der Video Angst nehmen soll, so schwingt dies in Aussagen im Video wie «wir wollen alle digital sein für eine starke SBB» dennoch mit. Ebenso betonte die SBB-Leiterin Bildung, dass künstliche Intelligenz und automatisierte Prozesse ebenfalls Arbeit erledigen. Sie seien deswegen nicht böse, sondern können einen wesentlichen Beitrag leisten, damit die SBB ihren Auftrag erfüllen könne. Diese Aussagen erklären den Nutzen der Digitalisierung und entstanden im Rahmen des Anspruches der SBB, alle Mitarbeitenden und Führungskräfte auf die Digitalisierung vorzubereiten und zu qualifizieren, um die Zukunftsfähigkeit der Organisation zu sichern.

Wenn die Digitalisierung eine Freiheit bringt, wie das Roman Büchler von der BSG Unternehmensberatung AG in seinem Workshop betonte, stellt sich die Frage, in welchem Gefängnis sich die Mitarbeitenden aktuell befinden, was sie aktuell verpassen, weil dieses in einem Gefängnis nicht erlebbar ist und schlussendlich auch, wie die Menschen wieder erlernen werden, wie man mit Freiheit umgeht. Diese Aspekte finden sich auch in der HR-Panel New Work-Studie wieder: Während, wie angesprochen, ein ortsunabhängiges Arbeiten, bzw. eine generelle Flexibilisierung der Arbeit bezüglich Ort, Zeit und Portfolio als Chance betrachtet wird, so werden gleichzeitig Regeln befürchtet, welche die mit der Flexibilisierung einhergehende Freiheit einschränken oder verkomplizieren. Hiermit schliesst sich der Kreis, dass für die Digitalisierung als Aspekt von New Work ein neues Führungsverhalten notwendig ist, welches von Vertrauen geprägt ist – was aber im Widerspruch zu den bereits erwähnten Skeptikern in den Geschäftsleitungen steht.

Mitarbeitende sind ebenfalls Digitalisierungstreiber

Es zeigt sich in der Studie auch, dass nicht unbedingt der Arbeitgeber der Digitalisierungstreiber ist, sondern insbesondere die Privatpersonen ebenso Treiber sind. Sie nutzen viele Möglichkeiten der Digitalisierung im privaten Umfeld bereits häufiger als im Arbeitsumfeld, erwähnt werden Informationsbeschaffung per Blogs, Foren oder Webseiten, die Nutzung von Cloud-Services wie Dropbox oder die Nutzung von Instant-Messaging-Diensten wie Whatsapp. Doch selbst wenn die Privatperson der Treiber ist und die Mehrheit der Befragten die Digitalisierung als Chance sehen, so sollen, so Alexandra Cloots und Sebastian Wörwag, die Skeptiker dennoch ernst genommen werden, damit diese sich zu erkennen geben können, damit auf sie in der Umsetzung eingegangen werden kann. Wenn Digitalisierung im Arbeitsumfeld vor allem Sorgen auslösen, dann könne dies mit (Quick-)Wins begegnet werden, deren Nutzen und Fortschritt betont werde. Für solche Entwicklungsschritte bieten sich immer wieder Möglichkeiten, denn, wie Wörwag betont, sei die Digitalisierung ein ewiger Prozess, in dem zwar ein höherer Reifegrad erreicht werden könne, der aber nie fertig sein werde.

    Film zum New Work Forum 2019

    Film zum Vormittag

    Film zum Nachmittag

    Jahresthema 2019 Digital Human Work - eine Utopie?

     

    Folgende Leitfragen standen im Zentrum der Diskussion:

    • Fokus Kreativität und Entwicklung: Wo bleibt da der Mensch?
      Leitfrage: Digitalisierung fördert die Standardisierung und Routinen von Arbeit – wo bleiben künftig kreative Entwicklungsräume?
    • Fokus Organisationskultur: Die Geister, die ich rief, ...
      Leitfrage: Ist es die Digitalisierung, die die Arbeits- und Organisationskultur verändert, oder sind es letztlich wir Menschen, die über die Art der Nachfrage und Anwendung der digitalen Medien eigentliche Treiber der digitalen Transformation sind?
    • Fokus Führung: Denn sie wissen (nicht), was sie tun ...
      Leitfrage: Hat die klassische Führung im digitalen Zeitalter und der New Work ausgedient?
    • Fokus Mensch und digitale Kluft: Digitalisierung findet auch ohne mich statt
      Leitfrage: Wie verändert sich die Grenzziehung der digital divide (digitale Kluft) angesichts bestehender Zuschreibungen und neuer Realitäten?
    • Fokus Arbeitsmarkt: Digitalisierung, die Freiheit nehm' ich mir
      Leitfrage: Für wen eröffnet die Digitalisierung Chancen?