Rückblick 10. Ostschweizer Gemeindetagung

Robust und widerstandsfähig im Krisenfall

Gemeinden während und mit Corona:
Was war? Was nehmen wir mit? Wo herrscht Handlungsbedarf?

 

Die Corona-Pandemie stand sowohl organisatorisch als auch inhaltlich im Mittelpunkt der zehnten Austragung der Ostschweizer Gemeindetagung der OST – Ostschweizer Fachhochschule. In virtuellem Rahmen diskutierten Politikerinnen und Politiker, Behördenvertreterinnen und -vertreter sowie Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler an zwei Nachmittagen über die «Gemeinden während und mit Corona» und welche Lehren aus der Pandemie gezogen werden können. Die digitale Gemeindetagung dient der Hochschule zudem als Auftakt zum neuen Austauschformat ImPuls für Gemeinden, Städte und Regionen.

Medien  
Tagungsrückblick 1. Teil des «St.Galler Tagblatts» online vom 6. 11. 2020
Thematischer Artikel zu Partizipation im «St.Galler Tagblatt» vom 23. 11. 2020
Thematischer Artikel zu «Wie arbeiten Gemeinden morgen? Sich auf Neues einlassen» in der «Schweizer Gemeinde» 

Dokumentation

1. Teil (6. November 2020)
Tagungspräsentation
Zusammenfassung  Inputreferat «Regieren in Krisenzeiten» (Krisengovernance; Raban Fuhrmann)
Präsentation Praxisbeispiel «Digitale Partizipation Ortsplanung Goldach» (Christian Hacker / Richard Falk) 

2. Teil (11. Dezember 2020)
Präsentation Inputreferat «Das Soziale in Krisenzeiten» (Kriemhild Büchel-Kapeller)
Präsentation Neues aus der Wissenschaft: «New Work und Arbeitskultur – wo stehen die Gemeinden?» (Patrick Aeschlimann)
Präsentation Praxisbeispiel: «Digitale Unternehmenskultur in Gemeinden» (Andreas Naef)

Zehn Jahre Ostschweizer Gemeindetagung: Das OZG Zentrum für Gemeinden der OST – Ostschweizer Fachhochschule hätte das Jubiläum gerne vor Ort gefeiert. Doch die Corona-Pandemie machte den Organisatoren einen Strich durch die Rechnung. Referiert und diskutiert wurde trotzdem, zwar nicht analog wie bisher, sondern digital. Ausserdem wurde das Programm, das unter dem Titel «Gemeinden während und mit Corona» stand, auf zwei Tage verteilt; den 6. November und den 11. Dezember 2020.

Das Zusammenspiel der drei Staatsebenen

Die Corona-Krise hat die Gemeinden abrupt getroffen. Gleichzeitig stellt sie das Zusammenspiel zwischen den drei Staatsebenen auf die Probe. «Krisen können häufig Innovationsförderungs-Booster für Unternehmen, aber auch für den Staat und somit für alle drei föderalen Ebenen sein», sagte Sibylle Minder Hochreutener, Leiterin Fachabteilung interdisziplinäre Querschnittsthemen und Mitglied Hochschulleitung OST – Ostschweizer Fachhochschule, zu Beginn des ersten Tages. «Da müssen wir ansetzen und gemeinsam über das Zusammenspiel der Staatsebenen in der Krise diskutieren und neue Lösungen anschauen.»

Für Boris Tschirky, Gemeindepräsident von Gaiserwald und Präsident der Vereinigung St.Galler Gemeindepräsidentinnen und -präsidenten (VSGP), hat dieses Zusammenspiel «nach den ersten Chaostagen» sehr gut geklappt. Selbstverständlich brauche es die eine oder andere Justierung, sagte er. «Wir sollten den Pfad der Aufgabenteilung aber nicht verlassen, Subsidiarität ist wichtig und hat sich als Erfolgsmodell der Schweiz bewährt.»

Dem könne sie sich nur anschliessen, sagte die St.Galler Regierungsrätin Laura Bucher und betonte, wie wichtig ein guter Austausch zwischen den Staatsebenen sei. Sie freue sich, dass sich die Gemeinden trotz oder gerade wegen der Krise strategische Gedanken über die Zukunft machten und hoffe diesbezüglich weiterhin auf einen konstruktiven Dialog.

«Mehr Zeit zum Nachdenken»

Das OZG hat während des Lockdowns viele Interviews mit Gemeindepräsidentinnen und -präsidenten geführt. In drei Spotlights berichtete Lineo Devecchi, der zusammen mit Stefan Tittmann das OZG leitet, über deren Erfahrungen. «Viele erzählten uns, dass sie am Abend plötzlich mehr Zeit hatten, da es keine Veranstaltungen mehr in der Gemeinde gab.» Die Pandemie-Situation heute ist zwar eine andere als im März, doch es finden weiterhin kaum mehr Anlässe statt. Devecchi sieht diesen «Zeitpunkt der Entschleunigung» als Chance für die Gemeindepräsidentinnen und -präsidenten, sich um die grossen strategischen Fragen zu kümmern, wie in welche Richtung sich die Gemeinde weiterentwickeln soll. «Diese Fragen sollten sie aber nicht allein, sondern mit der gesamten Bevölkerung angehen.»

Wertvolle Inputs zum Thema «Regieren in Krisenzeiten» gab es von Raban Daniel Fuhrmann. Der Verfahrensexperte für Reformprozesse, Gründer der Reformagentur Konstanz und Direktor der Akademie für Lernende Demokratie, zeigte anhand seiner sieben Modi der Krisengovernance auf, wie die Stärken einer Demokratie zur Bewältigung der Krise genutzt werden können. «Die Krise beginnt immer mit deren Ausrufung», sagte Fuhrmann, «und entscheidend ist, wie sie ausgerufen wird». Überhaupt sei die Kommunikation in der Krise sowohl in der Verwaltung als auch mit der Bevölkerung wichtig. «Sie sollte proaktiv, regelmässig, dialogisch und zuvorkommend sein.»

Damit sich eine grosse Mehrheit der Gesellschaft an Massnahmen, die meistens sehr einschneidend seien, auch hielten, brauche es «Cokreative Kollaboration». Als Beispiele nannte er Krisenräte oder Plan-Ahead-Teams, die innerhalb weniger Stunden wichtige Entscheide rückkoppeln können, um Transparenz und Verständnis in der Bevölkerung zu schaffen. «Auch die Fehler, die zwangsläufig in einer Krise gemacht werden, sollten schon währenddessen angekündigt oder eingestanden und danach aufgearbeitet werden», sagte der Governance-Experte.

Das Praxisbeispiel und ein fulminanter Abschluss

Wie digitale Demokratie und Partizipation in der Krise funktionieren kann, zeigte das Beispiel der Gemeinde Goldach. Sie hatte zusammen mit der Kommunikationsagentur «Die Botschafter» für die Revision der Ortsplanung viele Bewohnerinnen und Bewohner virtuell eingebunden. «Hätten wir nur den klassischen Weg der Partizipation gewählt, wäre dies gerade wegen des Lockdowns schwierig geworden», sagte Richard Falk, Gemeinderatsschreiber von Goldach. Mit dem Resultat ist er sehr zufrieden. «Die E-Mitwirkung hat sich bewährt, wir haben aber auch Broschüren und Fragebogen erarbeitet und an die Haushalte geschickt.» Für den Gemeinderatsschreiber ist klar: «Es braucht heute beides. Das Analoge, um möglichst viele grundlegend zu informieren, und das Digitale, um eine grössere Zielwirkung zu erreichen, Interessierten zusätzliches Material zur Verfügung zu stellen und mehr Transparenz zu schaffen.»

Einen fulminanten Abschluss des ersten Tages gab es von der bekannten Kabarettistin und Bühnenpoetin Patti Basler. Zusammen mit Musiker Philippe Kuhn lieferte sie mit ihrem Instantprotokoll eine wortwitzige Zusammenfassung des Gesagten und Nicht-Gesagten, das auch virtuell bestens funktionierte.

«Sozialkapital ist der unterschätzte Kitt»

Beim zweiten Teil der Ostschweizer Gemeindetagung stand zunächst «Das Soziale in Krisenzeiten» im Mittelpunkt. Hier spielten Gemeinden eine wichtige Rolle, sagte Kriemhild Büchel-Kapeller vom Büro für Freiwilliges Engagement und Beteiligung des Landes Vorarlberg, weil sie nahe an ihren Bürgerinnen und Bürgern seien und sie so gut abholen könnten. «Eine Strategie haben alle, aber die Menschen machen den Unterschied», so die Expertin und sprach dabei vom «Sozialkapital» und von «vertrauensvollen Beziehungen», die nur mit «Spielregeln und Werten», einem «Geben und Nehmen» und einem «Netzwerk» gelingen könnten. «Das Sozialkapital ist der unterschätzte Kitt einer Gemeinde.» Schliesslich gehe es darum, Krisen gemeinsam zu bewältigen. Hierfür brauche es nicht nur technische Entwicklung, sondern auch soziale Innovation – und dabei sollte die «Kraft der Kollaboration» genutzt werden. «Die Bürgerinnen und Bürgern wollen mitmachen. Sie haben sich in den vergangenen Jahren von Zuschauerinnen und Zuschauern zu Mitgestalterinnen und Mitgestalter verändert.»

Wo die Gemeinden bezüglich «New Work und Arbeitskultur» stehen, zeigten im Anschluss Patrick Aeschlimann, Wissenschaftlicher Mitarbeiter am OZG, und Andreas Naef von der Beetroot AG auf. Das HR-Panel New Work der OST führt regelmässig Umfragen zur Wahrnehmung von Arbeitskultur und New Work in verschiedenen Berufssparten durch. Vergangenes Jahr wurde in Zusammenarbeit mit dem OZG erstmals auch die Öffentliche Hand in die Befragung aufgenommen.

Dabei zeigte sich, so Patrick Aeschlimann, dass die Gemeinden «sinnvolle und motivierende Tätigkeiten bieten, die den Bedürfnissen der jungen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern entsprechen». Allerdings stelle sich die Frage, ob die aktuelle Arbeitskultur noch die richtige sei. «In einer holländischen Kleinstadt wurde das Gemeindehaus zwar nicht verkauft, aber ein Begegnungsort daraus gemacht. Gearbeitet wird agil, in selbstorganisierten Teams und es gibt keine Präsenzpflicht mehr. Mit einem mobilen Schalter geht es direkt in die Quartiere und man ist so für die Bürgerinnen und Bürger und für all das, was nicht online erledigt werden kann, da.»

Wird das Gemeindehaus so bald überflüssig? Mit dieser und ähnlichen Fragen setzt sich auch Andreas Naef auseinander. Er berät mit seiner Firma Beetroot AG Unternehmen und Gemeinden bezüglich Organisationsentwicklung und Qualitätsmanagement, wobei die digitale Unternehmenskultur einen bedeutenden Platz einnimmt. «Flexibilität und Agilität werden immer wichtiger», sagte er. «Viele Verwaltungen beschäftigen sich mit Digitalisierungsvorhaben und flexiblen Arbeitsformen.» Dazu gehöre auch das mobile Arbeiten, das allerdings mit vielen Herausforderungen verbunden sei. Zum einen müssten Infrastruktur, Datensicherheit und -schutz sichergestellt werden, zum anderen fehlten klare Strukturen, Beruf und Privatleben würden vermischt und bei der Führung brauche es Vertrauen statt Kontrolle. «Die Corona-Krise hat einen Digitalisierungsschub ausgelöst, vor allem im Bereich Information, Kommunikation und Kollaboration», resümierte der Experte. «In der Tendenz stehen die Verwaltungen aber erst am Beginn der Transformation und hier kommt noch viel Arbeit auf sie, aber auch auf die Privatwirtschaft zu.»

Neues Austauschformat für Gemeinden, Städte und Regionen

«Der Austausch zwischen Politik, Verwaltung, Wissenschaft, Bevölkerung und Wirtschaft wird durch die Pandemie erschwert», sagte OZG-Co-Leiter Lineo Devecchi zum Abschluss der Tagung. Um dennoch den Dialog zwischen den verschiedenen Akteuren zu ermöglichen, lanciert das OZG Zentrum für Gemeinden ImPuls, das  kostenlose Austauschformat für Gemeinden Städte und Regionen, welches zum ersten Mal digital am Freitag 22. Januar zum Thema «Digitale Partizipation» stattfinden wird. «Mit ImPuls will das OZG einen Raum schaffen, in welchem Impulse aus Wissenschaft und Praxis gesetzt werden, etwa Best Practice, Forschungsprojekte, Ideen, oder neue Dienstleistungen, und diese gemeinsam reflektiert, diskutiert und weiterentwickelt werden können», so Devecchi.

Text: Marion Loher

 

ImPuls das neue Austauschformat der OST für Gemeinden, Städte und Regionen

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