«Maschinen werden nie schlauer sein als Menschen»

06.04.2021

«Computational Engineering» wird ab dem Herbstsemester 2021 als Studienrichtung des Bachelor-Studiengangs Systemtechnik in St.Gallen und Buchs angeboten. Klaus Frick, OST-Dozent für Mathematik, war an der Lancierung der neuen Studienrichtung beteiligt.

Studierende mit aufgesetzten VR-Brillen

Wie ist die neue Studienrichtung entstanden?

Klaus Frick: Das Institut für Computational Engineering in Buchs beschäftigt sich schon lange mit dem Technologietransfer und hat seit vielen Jahren Erfahrungen im Bereich der mathematischen Modellierung und Simulation, insbesondere auch in der virtuellen Produktentwicklung. Wir untersuchen die Eigenschaften von Systemen, Prozessen und Produkten und modellieren deren Zusammenhänge, wir sammeln Daten und nutzen auch Machine Learning, um die Modelle zu verfeinern. Damit können wir zum Beispiel Produkte virtuell optimieren und ersparen unseren Kunden die kostspielige Konstruktion von Prototypen. Auch können wir mittels Data Analytics Prognosen für den optimalen Wartungszeitpunkt von Maschinen erstellen. Das Bedürfnis für mathematische Modelle und Data Science in der Industrie haben wir früh erkannt, auch das Interesse der Studierenden wurde immer grösser – nun können wir dieser Entwicklung gerecht werden und geben unser Wissen in der Lehre weiter.

Welche konkreten Inhalte werden vermittelt? 

Klaus Frick: Ein Systemtechnik-Studium mit der neuen Studienrichtung bietet eine vollwertige Ingenieurausbildung mit Grundlagen in Mechanik, Informatik und Elektrotechnik. Zusätzlich spezialisieren sich die Studierenden auf die Modellierung und Datenanalyse. Wir bilden die Studierenden für Tätigkeiten an der Schnittstelle zwischen Labor mit Messtechnik und Simulations-Abteilung aus. Gleichzeitig ist die Ausbildung sehr praxisnah, wir setzen auf die Hands-on-Mentalität – diese Mischung ist in der Schweiz einzigartig. Studierende der Studienrichtung Computational Engineeering sind in der Lage, den ganzen Prozess vom Design des Experiments, über das Erfassen, Speichern und Verteilen der Daten, Modellieren, Optimieren bis hin zum Deployment des Produkts selbst umzusetzen.

Die neue Studienrichtung besteht aus drei Ausprägungen: 

-     Mathematische Modellierung und Simulationen: Basierend auf physikalischen Grundgleichungen berechnen wir das Verhalten von realen Prozessen und gleichen die Ergebnisse mit der Realität ab. So können technische Produkte bereits optimiert werden, bevor sie überhaupt gebaut werden.

-     Data Science: Was mit physikalischen Gleichungen nicht möglich ist, reichern wir mit
Daten an und lernen so, komplexe Prozesse zu verstehen. Machine Learning kommt zum Beispiel in der Gesichtserkennung zum Einsatz. Neben der Datenauswertung lernen die Studierenden auch, wie man strukturiert Daten erfasst. Design of Experiment (DoE) ist hier das Stichwort: mit so wenig Experimenten wie möglich die maximale Ausbeute an Information erzielen.

-    Data Engineering: Hier lernen wir, Daten zu gewinnen und aufzubereiten. In der Praxis sind die Daten oft nicht so perfekt wie in der Theorie. Unser Ziel ist es, Daten automatisiert und möglichst lückenfrei zu gewinnen, zu übertragen und zu speichern. Datenbank Technologien gehören hier genauso dazu wie die Grundlagen des Cloud Computing.

Welches sind deine Lieblingsmodule? 

Klaus Frick: Machine Learning gefällt mir sehr gut und das Modellieren mit Differentialgleichungen fasziniert mich. Auch bin ich sehr an Design Thinking interessiert, wenn es darum geht, in einem kreativen Prozess Produkte und Services zu entwickeln, die genau die Kundenbedürfnisse erfüllen.

Wann werden Maschinen intelligenter sein als Menschen? 

Klaus Frick: Aus meiner Sicht stellt sich diese Frage nicht, weil die Künstliche Intelligenz (KI) eigentlich gar keine Intelligenz ist. 1956 dachten Forscher, sie können ureigene menschliche Eigenschaften so genau beschreiben, dass ein Computer sie nachsimulieren kann. Später kam die Ernüchterung. Heute unterscheiden wir zwischen zwei Richtungen: Die etablierte «enge KI» ermöglicht, Entscheidungen basierend auf Daten zu treffen, beispielsweise autonome Fahrzeuge, die gelernt haben, Hindernisse und Wege zu erkennen. Die «breite KI», die tatsächlich selbst lernt, abstrahiert und assoziiert, ist momentan nicht in Reichweite. Maschinen sind nicht schlauer als Menschen, Maschinen können aber natürlich effektiver, effizienter oder genauer sein als Menschen. Mit der heutigen KI sind wir in der Lage, Komplexität in den Griff zu bekommen, aber wir sind noch weit davon entfernt, das menschliche Denken erklären zu können.

Auf welche zukünftigen Entwicklungen freust du dich?

Klaus Frick: Irgendwann werden Quantencomputer die Art und Weise, wie wir Algorithmen verstehen, komplett auf den Kopf stellen. Dann werden wir in der Lage sein, Probleme zu lösen, die aktuell als unlösbar gelten. Ich denke an kombinatorische Optimierungsprobleme wie das Traveling Salesman Problem. Aktuell interessieren mich vor allem Herausforderungen in der Mobilität wie autonomes Fahren. Das hat viel Einfluss auf die Gesellschaft und die Technik, insbesondere vor dem Hintergrund, dass der Verkehr als Haupttreiber des Klimawandels gilt.