Schweizer Berufsbildung auch in Indonesien ein Erfolgskonzept?

Medienmitteilung vom 2. Februar 2024

Die OST – Ostschweizer Fachhochschule unterstützt Indonesien bei der Entwicklung eines innovativen und nachhaltigen Berufsbildungssystems. Im Gegensatz zur Schweiz geniesst die Berufsbildung in Indonesien keinen guten Ruf. Ein neues Berufsbildungssystem soll dazu beitragen, die Jugendarbeitslosigkeit in Indonesien zu bekämpfen und die indonesische Wirtschaft zu stärken. Das Projekt wird von einem Team bestehend aus Forscherinnen und Forschern der Schweiz und Indonesien geleitet. Die erste Phase des Projekts wird im Sommer 2024 abgeschlossen.

Workshop in Jakarta: v.l. Stefan Kammhuber und Ben Hüter mit Teilnehmenden

In der Schweiz ist die Berufsbildung ein Erfolgskonzept. Rund 70 Prozent der Jugendlichen entscheiden sich für diesen Bildungsweg und werden in Zusammenarbeit von Unternehmen, Schulen und Gesellschaft berufsgerecht und zukunftsorientiert ausgebildet. In Indonesien hingegen hat die Berufsbildung im Vergleich zur universitären Ausbildung einen schlechten Ruf und ist stigmatisiert. Gleichzeitig ist sich die indonesische Gesellschaft aber bewusst, dass sich das ändern muss. Unter der Leitung von Prof. Dr. Stefan Kammhuber, Leiter Institut für Kommunikation und interkulturelle Kompetenz (ikik) an der OST – Ostschweizer Fachhochschule, erarbeitet ein Team aus schweizerischen und indonesischen Forscherinnen und Forschern innovative Lösungen für ein Berufsbildungssystem in Indonesien. Die Frage stellt sich, wie ein solches System in einem Land mit über 270 Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern, 17’000 Inseln, mehr als 300 Ethnien und 700 Sprachen funktionieren kann. «Es muss genau geprüft werden, welche Elemente des Schweizer Systems in Indonesien sinnvoll und nachhaltig eingesetzt werden könnten», erklärt Kammhuber. Finanziell unterstützt wird das Projekt mit einem «Innovation Partnership Grant» des SBFI und des ETH Leading House Asia.

Erfolgreicher Austausch an Workshop und Konferenz in Indonesien

Um herauszufinden, an welchen Stellen das indonesische Berufsbildungssystem vom Schweizer System profitieren kann, haben Stefan Kammhuber und Ben Hüter, Direktor IDM Thun und Vorstandsmitglied der Schweizer Direktorinnen- und Direktorenkonferenz der Berufsfachschulen, in Jakarta einen Workshop mit Direktorinnen und Managern von indonesischen Berufsbildungszentren durchgeführt. Sie haben dafür mit Dr. Hora Tjitra, indonesischer Experte digitales Lernen in Unternehmen, Dr. Juliana Murtiati, Dekanin Department für Angewandte Psychologie, und Prof. Dr. Hana Panggabean, Atma Jaya Catholic University of Indonesia in Jakarta, zusammengearbeitet. «Während des inspirierenden Workshops habe ich begriffen, dass wir in Indonesien bei der Berufsbildung eine 180-Grad-Wende vornehmen müssen», so das Fazit des Teilnehmers Yulius S. Bulo, Operations Director Pertamina Foundation, eine der grössten Unternehmensstiftungen Indonesiens. Dr. Juliana Murniati sieht das gleich: «Wir müssen in Indonesien unsere Einstellung zur Berufsbildung dringend verändern. Weg vom Stereotyp der Berufsbildung als Notlösung für die intellektuell wenig brillanten, wenig motivierten jungen Menschen aus armen Verhältnissen, hin zu einem alternativen Karriereweg für qualifizierte Fachkräfte.»

Darüber hinaus fand eine Konferenz mit Verantwortlichen aus Wirtschaft, Politik, Berufsbildung und Wissenschaft statt. Unterstützt wurde das Projektleitungsteam von der Schweizer Botschaft in Indonesien, der Schweizer Handelskammer, dem Swiss Business Hub und Swiss Contact. Olivier Zehnder, Botschafter der Schweiz in Indonesien, eröffnete die Konferenz. «Es geht nicht nur darum, unser Wissen auszutauschen, sondern auch darum, unsere Kräfte zu bündeln, um ein effizienteres Berufsbildungssystem in Indonesien zu entwickeln, von dem alle Beteiligten profitieren», zeigt der Botschafter auf. Die Veranstaltungen sind nicht nur bei den Teilnehmenden, sondern auch in allen grossen indonesischen Medien auf Anklang gestossen.

Beide Länder profitieren vom Projekt

Für die Schweiz ist Indonesien ein wichtiger Wirtschaftspartner. Viele Schweizer Unternehmen sind in Indonesien tätig und auf qualifizierte Arbeitskräfte angewiesen. Aus indonesischer Perspektive kann eine innovative Berufsbildung mit Elementen des Schweizer Systems helfen, die vielen jungen Menschen besser auszubilden und den immer grösseren Bedarf an qualifizierten Fachkräften zu decken, die Jugendarbeitslosigkeit und die damit verbundenen Kosten zu verringern, die Wirtschaftskraft zu steigern und die soziale Stabilität der Gesellschaft langfristig zu sichern. Für Ben Hüter ist klar, dass auch die Schweiz von Indonesien lernen kann: «Die Orientierung an den Bedürfnissen der Unternehmen und die Kompetenzorientierung an den drei Lernorten Betrieb, Schule und überfachliche Kurse machen die Stärke unserer Schweizer Berufsbildung aus. Unsere Schwächen sind die mangelnde Flexibilität im System und die Trägheit bei der Umsetzung von Innovationen. Hier erlebe ich Indonesien im Vergleich als sehr dynamisch.»

Interkulturelle Kompetenz gefragt

Als zentrale Erfolgsfaktoren des Schweizer Systems wurden von indonesischer Seite die frühzeitige Berufsorientierung in der obligatorischen Schule und die Unternehmens- und Kompetenzorientierung bei der Entwicklung der Lehrpläne in der Ausbildung identifiziert. Nun soll ein Modellprojekt in Zusammenarbeit mit den grössten indonesischen Unternehmen und den lokalen Partnerinnen und Partnern installiert werden, das von dem schweizerisch-indonesischen Expertinnen- und Expertenteam begleitet werden soll. Eine einfache Übertragung des Schweizer Systems auf den indonesischen Kontext würde aufgrund der unterschiedlichen kulturellen, geografischen und gesellschaftlichen Bedingungen scheitern. «Für die Anpassung des Systems ist interkulturelle Kompetenz zwingend erforderlich. Diese haben wir uns in der engen und langjährigen Zusammenarbeit mit unseren indonesischen Kolleginnen und Kollegen erarbeitet. Ohne gegenseitiges Vertrauen und die Bereitschaft, immer wieder die Perspektive zu wechseln und voneinander zu lernen, könnte das Projekt nicht funktionieren», betont Kammhuber.
 

Institut für Kommunikation und Interkulturelle Kompetenz (ikik)

Das ikik ist seit einigen Jahren in der Berufsbildung aktiv. In Zusammenarbeit mit MOVETIA, der Schweizer Agentur für Austausch und Mobilität, entwickelt es interkulturelle Lernumgebungen für Lernende und Lehrende in der Berufsbildung. Zudem ist das Institut als wissenschaftliche Begleitung im Leitungsteam des Swiss Center of Vocational Excellence «Innovation by Internationalization» tätig, einem Projekt mit 14 Institutionen der Berufsbildung aus neun europäischen Ländern.

 

Bildlegenden:

Bild 1:   Projektleitungsteam: v.l. Ben Hüter, Hora Tjitra, Juliana Murniati, Stefan Kammhuber

Bild 2:   Konferenz in Jakarta: Gruppenarbeit zu Innovation in der Berufsbildung

Bild 3:   Workshop in Jakarta: v.l. Stefan Kammhuber und Ben Hüter mit Teilnehmenden

Bild 4:   Projektleitungsteam und Workshop-Teilnehmende in Jakarta

 

Für Rückfragen:

  • Prof. Dr. Stefan Kammhuber, Leiter ikik Institut für Kommunikation und Interkulturelle Kompetenz OST, 058 257 45 53, stefan.kammhuber@ost.ch
  • Ben Hüter, Direktor IDM Thun, Vorstand Schweizer Direktorinnen- und Direktorenkonferenz der Berufsfachschulen, 033 227 33 44, ben.hueter@idm.ch
  • Nora Lüthi, Kommunikation Fachabteilung IQT, 058 257 13 31, nora.luethi@ost.ch
  • Michael Breu, Kommunikation OST, 058 257 44 66, michael.breu@ost.ch