Kickstart für Ribelmais-Chips

Einmal jährlich werden die Praxisprojekte der OST – Ostschweizer Fachhochschule mit viel Pomp am WTT YOUNG LEADER AWARD gefeiert. Was geschieht, wenn der Applaus vorbei ist, sich der Eisnebel in der Tonhalle verzogen hat und die Firmen die studentischen Arbeiten der ökonomischen Realität aussetzen? Ein Blick ins Rheintal zur Lütolf Spezialitäten AG zeigt, wie aus einer Vision, einer Chips-Maschine aus Amerika – und einem Praxisprojekt – eine Unternehmensgeschichte für die Annalen entstanden ist. 

14.06.2021

Richtig knackig sind sie und duften leicht süsslich wie Popcorn: die Ribelmais-Tortilla-Chips aus dem St.Galler Rheintal. «Natürlich knuspern lässt sich damit, ohne Zusatzstoffe, ohne schlechtes Gewissen», lacht Christian Lütolf. Guten Grund dazu hat er: Mit den Chips schreiben die Lütolfs eine weitere Erfolgsgeschichte des einst verschmähten Ribelmais. Die Basis dafür legte ein Praxisprojekt mit Studierenden der Fachhochschule St.Gallen (FHS).

Christian Lütolf, Geschäftsführer Lütolf AG

Gestern verschmäht, heute Trend

Wer von St.Gallen kommend auf der Autobahn ins Rheintal einbiegt, sieht zu rechter Hand die riesigen Silotürme auf der Höhe des Bahnhofs St. Margrethen: Hier ist die Lütolf AG seit den 60er-Jahren als Sammelstelle und Logistikzentrum für Getreide tätig. «Wir sind in der Landwirtschaft verwurzelt, ein trendiges Produkt selbst zu vermarkten, war Neuland für uns», erinnert sich Lütolf. Dennoch schien es ein logischer Schritt. Denn bereits 1998 gründeten innovative Produzenten, Verarbeiter und Interessierte den Verein Rheintaler Ribelmais, um dieses Kulturgut wieder salonfähig zu machen. Seit der Geburtsstunde mit dabei war Ernst Lütolf, Mitinhaber und Patenonkel von Christian.

Inzwischen wuchs der Anbau im Rheintal von vier auf 90 Hektaren an und selbst Gourmetköche entdeckten den Klassiker neu. Ribelmais ist heute als einziges Getreide AOP-zertifiziert – verfügt also über eine geschützte Ursprungsbezeichnung wie edle Weine oder erlesener Käse. Dabei war der traditionsreiche Ribelmais nach dem zweiten Weltkrieg beinahe von Speiseplänen und Feldern verschwunden – verrufen als «Arme-Leute-Essen». Doch der gesunde Ribel ist nährhaft, eiweisshaltig, vegan, glutenfrei und damit wieder angesagt.

Eine Maschine und ein Praxisprojekt

Als bei Tests erste Ribelmais-Chips selbst im nahen Ausland auf Interesse stiessen, entschieden sich die Lütolfs im September 2018 kurzerhand, in Kalifornien eine Chips-Maschine zu ordern und nach Europa zu verschiffen. Lieferzeit: ein knappes Jahr. Doch durchkalkuliert war das ersehnte Chips-Geschäft noch kaum: Mit welchen Mengen und Preisen rentiert es? Wie trägt man die Chips zu Markte? «Das Vorhaben war durchaus risikoreich, und es musste gelingen», so Christian Lütolf. So gelangte er an die Wissenstransferstelle WTT der OST. 

Der Marketingexperte Daniel Steiner betreute die Studierenden während des Praxisprojekts: «Der Markt wird von übermächtigen Playern beherrscht, Startups haben es enorm schwierig.» Er witterte aber auch Chancen, da Schweizer Regionales bevorzugen und dafür auch etwas mehr bezahlen. So legten sich im Januar 2019 fünf Studierende richtig ins Zeug. Sie analysierten den Markt, führten Degustationen durch und erarbeiteten ein sauber durchdachtes Marketingkonzept. Dabei ging es um Preisgestaltung, Kommunikation, Logistik und Vertrieb. 

Gründung der Lütolf Spezialitäten AG

«Nebst regionalen und Nachhaltigkeits-Aspekten waren das Verpackungsdesign für verschiedene Händler und die Werbestrategie wichtig – das konnte ich bei unserem einzigartigen Produkt gleich mitpräsentieren», erzählt Christian Lütolf. Die Studierenden empfahlen, nicht nur auf Chips zu setzen, sondern auch andere Produkte zu lancieren, um seine Maschine optimal auszulasten. Das gab den Ausschlag, ein Startup zu gründen: die Lütolf Spezialitäten AG. 

Ende Juni kam die Chips-Maschine in St. Margrethen an – aufs Ende des Praxisprojekts. Die Studierenden hatten zuvor bereits mögliche Vertriebspartner kontaktiert: So nahmen noch während des Projekts – oder kurz danach – mehrere Grossverteiler die Chips tatsächlich ins Sortiment auf. Im Juli 2019 wurden die ersten ausgeliefert. Die Lütolfs haben anschliessend die vorgeschlagenen Massnahmen umgesetzt und übertreffen inzwischen die anvisierten Umsatzziele. «Wir haben rund 25 Tonnen Chips verkauft. Bis Ende Jahr können es 40 Tonnen werden, rund 250'000 Packungen», sagt Christian Lütolf stolz. Damit liege man klar über den Erwartungen. Die Ribelmais-Chips gibt es heute nicht nur bei Migros, Volg oder in der Landi, sondern auch in vielen Dorf- und Gourmetläden. «Hinzu kommen interessante Aushängeschilder wie das Grand Resort Bad Ragaz oder das Bergrestaurant Aescher. Wir haben über 200 regelmässige Kunden. Am meisten freue ich mich, dass die Dorfläden immer wieder bestellen.»

Vielfältiges Grundnahrungsmittel

In der Deutschschweiz findet man die Ribelmais-Chips bereits an vielen Verkaufsstellen. Nun kommen nach und nach auch die Westschweizer auf den Ribelmais-Geschmack. «Über die Sprachgrenzen zu verkaufen, ist ein grosses Ziel», so Christian Lütolf. Die Verpackungen würden deshalb nun zweisprachig gestaltet. Gleichzeitig begann sein Unternehmen auch Vorarlberger Riebelmais als Chips zu verarbeiten und nach Österreich auszuliefern. Dort gibt es nun bereits eine Variante mit Chili. An weiteren Ideen fehlt es nicht: «Die Möglichkeiten sind fast unendlich», freut sich Chrstian Lütolf. Aktuell wird in Projekten mit der ETH Zürich und dem Bundesamt für Landwirtschaft an neuen Produkten gearbeitet – noch sind es Betriebsgeheimnisse.

«Das Praxisprojekt war für uns auch sehr wertvoll, weil es aufgezeigt hat, dass wir in Kooperationen erfolgreich sein können und nicht alles alleine machen müssen», sagt Lütolf rückblickend. Dabei spricht er nicht von ungefähr: Der neue Geschäftsbereich macht bereits 15 bis 20 Prozent des Umsatzes aus, mehrere Personen wurden in der Produktion engagiert. Dazu gehört die neue Maismühle «uniCorn», die hauptsächlich edle Polenta-Variationen produziert, aber auch Rohstoffe für Waffeln, Pasta oder Bier – komplett glutenfrei. Dieser Markt ist zwar nicht riesig, aber noch nicht gesättigt und vom Import abhängig. «Wir sind auf gutem Pfad mit innovativen Produkten. In Kooperationen profitiert man voneinander und findet immer wieder neue Wege», ist Christian Lütolf heute überzeugt. «Wenn die Begeisterung stimmt, finden sich auch Nischen, wo Wertschöpfung und Marge passen.» Man darf gespannt sein, welche Geschichten der Ribelmais noch schreibt.