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«Netto Null» Ziel vor Augen – Nachhaltige VOC-Abluftreinigung mittels «kaltem Plasma» statt «heisser Flamme»

Die Reinigung von gewerblichen oder industriellen Abluftströmen ist eine Notwendigkeit, zumal Wohnareale und Industriegebiete immer öfter aneinandergrenzen und die Luftreinhalteverordnung (LRV) einzuhalten ist. Doch Industrieschadstoffe werden meist noch immer mittels fossilen Erdgases thermisch zersetzt. Angesichts hoher Energiekosten und klimaschädlichen CO2-Emissionenist ein Umdenken dringend erforderlich. Ein an der OST entwickeltes elektrisches Plasma-Reinigungssystem wird dies ändern.

Es ist Wochenende und Sie geniessen Ihre Sonntagszeitung mit frisch zubereiteten und duftenden «Kafi & Semmeli». So lässt es sich leben! Doch dort, wo beides hergestellt wurde, in Bäckereien und Kaffeeröstern, entstehen beim Herstellungsprozess geruchsintensive Emissionen. Nun gehören diese beiden Düfte nicht unbedingt zu den unangenehmsten. Doch in Bäckereien, Kaffeeröstereien und auch in der Druckerei ihrer Sonntagszeitung entstehen Emissionen in zu hohen Konzentrationen. 

Der Autor selbst weiss aus eigener Erfahrung: Hochkonzentrierte Erdbeer-Schokoladen-Düfte über mehrere Stunden stehen den Emissionen einer Gewürzverarbeitung mit Knoblauch, Zwiebeln und Pfeffer in nichts nach. Und in vielen anderen Industrieprozessen, wie z.B. in Lackierereien, chemischen und pharmazeutischen Betrieben oder beim Batterie-Recycling, entstehen oftmals gesundheitsschädliche und stark umweltbelastende Emissionen in so grossen Mengen, dass diese sogenannten VOC-Emissionen in der Abluft zwingend abgereinigt und schadlos gemacht werden müssen. VOC steht hier übrigens für «Volatile Organic Compounds», also leichtflüchtige organische Verbindungen. 

Industrielle Abgasreinigung im Wandel der Zeit 

Industrielle Abgasströme werden zunächst meist konditioniert, also mit Filteranlagen von möglichen Feststoffpartikeln befreit. Für die Abgasreinigung selbst nutzen die Industrien heute noch fossile Brennstoffe, also Erdgas (Methan, CH4) um hohe Temperaturen zu erzeugen die die schädliche Organik zersetzen. Übrig bleiben grosse Mengen an CO2 und Wasser, welche anschliessend in die Umwelt emittiert werden. 

Der fortschreitende Klimawandel führt jedoch zu einem Umdenken – wer erinnert sich nicht an die Hitzewelle im Juni 2025 –, so dass der damit verbundene klimaschädliche CO2-Ausstoss durch den fossilen Brennstoff Erdgas nicht mehr erwünscht ist. Für die Industrie aber mindestens genauso wichtig: Die Wirtschaftlichkeit! Und die lässt seit einiger Zeit zu wünschen übrig. Einerseits sind aus geopolitischen Gründen fossile Energieträger teurer geworden und andererseits führt das «Netto Null Ziel» der Schweiz und vieler anderer Länder zu einem Umdenken, weil auch die CO2-Emissionen aus fossilen kohlenstoffhaltigen Energieträgern und Brennstoffen zunehmend teurer werden. Auch realisieren einige Unternehmen hierzulande bereits jetzt, obwohl «Netto Null» erst ab 2050 gilt, dass für 2030 bereits eine Halbierung des CO2 vorgesehen ist. 

Auf der Suche nach neuen Lösungen für diese Herausforderung hat die Gruppe Advanced Materials & Processes (AMP) am Institut für Umwelt- und Verfahrenstechnik (UMTEC) der OST ein Plasma-Reinigungssystem entwickelt. Begonnen hat alles mit einem Forschungsprojekt zusammen mit unserem Entwicklungspartner, der auf Luft- und Wasserreinigung spezialisierten Oxytec AG aus Zürich, das vom Umwelttechnologiefonds (UTF) des BAFU gefördert wurde. Ziel war es, ein vollständig elektrisches Verfahren zur Abgasreinigung zu entwickeln, welches ohne fossile Energieträger auskommt und gleichzeitig effizient, flexibel und wirtschaftlich einsetzbar ist.

Blick ins Herz der Technologie: Das aktive Plasmafeld während des Betriebs, sichtbar durch ein Beobachtungsfenster. Im Reaktor zersetzen energiereiche Elektronen organische Schadstoffe – ganz ohne Verbrennung oder fossile Energieträger.

Funktionsweise und Vorteile der Plasmatechnologie

Im Zentrum der Innovation steht die Nutzung eines kalten Plasmafelds, welches durch elektrische Hochspannung erzeugt wird. Ein kaltes Plasma enthält hochreaktive Elektronen, die organische Schadstoffe wie VOCs in den Abgasen auf molekularer Ebene angreifen und zersetzen. Dabei entstehen harmlose Endprodukte wie CO₂ und Wasser – jedoch ohne die hohen Temperaturen von 850 bis 950 °C –, aber vor allem ohne die CO₂-Emissionen klassischer Verbrennungsverfahren.

Heute, 3 Jahre Entwicklungszeit später, wurde aus einem ersten Labor-Testreaktor der mit 1 l/min betrieben wurde, eine kommerziell zu erwerbende Anlage mit 20 kW Leistung und bis zu 10'000 m3/h Durchsatz. Mit Bedacht hat das Entwicklungsteam die Technologie derart geplant und konstruiert, dass selbst ein Scale-Up für Abgasströme mit über 100'000 m3/h machbar sind und damit auch mit konventionellen thermischen Abgassystemen auf dem Markt konkurrieren können.

Worin besteht aber der Vorteil? Bis anhin wird das gesamte Abgas, welches zu 99.9% aus harmloser Luft und diese selbst wiederum zu 79% aus thermischen Ballast-Stickstoff (N2) besteht, energetisch und wirtschaftlich völlig unnötig mittels thermischer Verbrennungsenergie aus Erdgas auf 850 – 950°C erhitzt. Dadurch werden die organischen Schadstoffe zu CO2 und Wasser zersetzt. Unser Plasma geht einen innovativen Energie- und somit CO2-reduzierenden Weg: Die Schadmoleküle werden durch das elektrische Plasma gezielt und fast schon chirurgisch genau abgereinigt. So spart man signifikant Energie ein und kein zusätzliches CO2 wird freigesetzt, sofern erneuerbarer Strom verwendet wird. Und, wie bei elektrischen Systemen üblich, ist das System einfach in der Leistung modulierbar und kann je nach Bedarf sogar instantan an- und ausgeschaltet werden. Der Betrieb erfolgt auf Knopfdruck, ohne Vorheizzeit, mit minimaler Abwärme und ohne komplexe Wärmerückgewinnungssysteme. Das macht die Anlage besonders attraktiv für Betriebe, die keine Nutzungsmöglichkeiten für Abwärme haben oder nicht an ein Fernwärmenetz angeschlossen sind.

Internationale Erprobung im industriellen Umfeld

Die Nachfrage aus der Industrie ist derweil so stark gewachsen, dass zwischenzeitlich ein fünfköpfiges Team – wovon zwei Absolventen des Studiengangs EEU sind (Erneuerbare Energie & Umwelttechnik) – an der Umsetzung von individuellen Kundenanfragen arbeitet und weitere Verstärkung gesucht wird.

Neben einer Anlage im Plasma-Technikum in Rapperswil, wurde eigens eine mobile Testanlage für Ausseneinsätze mit bis zu 2000 m3/h entwickelt. Zusammen dienen Sie als ein internationales «Living Lab» an der OST, denn Unternehmen aus den unterschiedlichsten Branchen aus der Halbleiter-, Druck- & Verpackungs- oder Lebensmittelindustrie, liessen sich vor Ort in Rapperswil von der Betriebssicherheit und der Energieeffizienz der Technologie überzeugen. Die Unternehmen können die Technologie aber auch bei sich vor Ort einsetzen und ihre Wirksamkeit anhand Ihrer eigenen, spezifischer Abgasströme prüfen lassen. Unser Einsatzbereich erstreckte sich bis anhin bis ins ungarischen Kecskemét.

Die grösste Herausforderung war bis anhin der Einsatz eines Prototyps mit insgesamt 40 kW Leistung und dessen Integration in den Tagesbetrieb eines neuen Batterierecycling-Werks für einen deutschen Autobauer. Nach mehreren Tagen Dauerbetrieb mit Abgasen aus dem Batterierecycling, bei dem bis zu 400 kg schwere Li-Ionen Akkus geschreddert werden, zieht das Entwicklungsteam am UMTEC ein durchweg positives Fazit: «Wir konnten zeigen, dass sich das Plasma-System in die vorhandene Infrastruktur integrieren lässt und die erwartete Reinigungsleistung erbringt. Wenn das System aufskaliert wird, sind auch Reinigungsvolumen in industrieüblichen Massstäben mit hunderttausend Kubikmetern und mehr an Abgasreinigung pro Stunde möglich.»

EEU-Absolvent und Entwicklungsingenieur Pascal Landolt (rechts) und Dr. Bastian Welte (links) zusammen mit der mobilen Plasma-Abgasreinigungsanlage bei on-site Testversuchen in einem Recyclingwerk für Li-Ionen Akkus. Die Anlage dient der Demonstration und Prüfung plasmabasierter Abgasreinigung direkt beim Industriepartner – flexibel, emissionsarm und elektrisch betrieben – aber mit bis zu 2000 m3/h.

Fazit: Kommerzialisierung und Serienproduktion

Damit ist die plasma-reaktive Technologie eine wirtschaftlich sinnvolle elektrische Abgasreinigung und passt sich in die aktuellen Anforderungen zur Elektrifizierung und Defossilisierung von Prozessen ein. Nach erfolgreichem Abschluss des Projekts in den kommenden Wochen wird an der Serienproduktion der Plasmamodule gearbeitet – ein bedeutender Schritt hin zur Dekarbonisierung der Abgasreinigung. Die Oxytec AG und das UMTEC planen eine breitere Marktdurchdringung, um die Technologie flächendeckend verfügbar zu machen.
 

Autor

Prof. Dr. Andre Heel 
UMTEC – Institut für Umwelt- und Verfahrenstechnik 
+41 58 257 43 87 
andre.heel@ost.ch