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IRAP-Tagung zu «Klimawandel und Raumentwicklung»

30.10.2025

Wie gestalten wir Raum, wenn sich das Klima verändert? Diese Frage beschäftigte die Teilnehmenden der Tagung «Klimawandel und Raumentwicklung», die das IRAP Institut für Raumentwicklung anlässlich seines 25-Jahr-Jubiläums am Dienstag, 21. Oktober 2025 organisierte. Das Programm beinhaltete spannende Vorträge und Workshops, in denen die Teilnehmenden über konkrete Strategien für eine klimaresiliente Planung diskutierten.

Der Klimawandel ist längst kein abstraktes Zukunftsthema mehr. Seine Folgen sind auch in Europa seit einigen Jahren deutlich zu spüren. Diese Erkenntnis stand im Fokus der IRAP-Tagung, die das Institut anlässlich seines 25-Jahr-Jubiläums organisiert hatte. Nach Begrüssungsworten von Gunnar Heipp, dem Institutsleiter des IRAP, von Stefanie Graf, Leiterin a.I. des Departements Architektur, Bau, Landschaft, Raum und Dr. Claudia Schwalfenberg vom Tagungspartner SIA startete mit dem Keynote-Referat von Prof. Dr. Jörn Birkmann der inhaltliche Teil der Tagung.  

Keynote 1 – Klimafolgen und Lehren für die Raumplanung

Der Professor der Universität Stuttgart hatte einerseits als koordinierender Leitautor des 6. IPCC-Sachstandsberichts zum Klimawandel Einblick in die Klimaforschung auf internationaler Ebene, andererseits erforscht er als Leiter des Instituts für Raumordnung und Entwicklungsplanung (IREUS) selbst zu den wechselseitigen Einflüssen von Klimawandels und Raumordnung.
     «Die steigende Gefährdung durch Starkwetterereignisse, Hitze und Trockenheit als Folgen des Klimawandels sind nur ein Aspekt», stellte Birkmann klar. Ebenfalls relevant seien die steigende Vulnerabilität, beispielsweise durch eine veränderte Demografie und eine erhöhte Exposition, als Folge veränderter Landnutzung. «Insbesondere in letzterem Bereich kann die Raumplanung einen Beitrag leisten, um die Resilienz gegenüber dem Klimawandel zu verbessern.
     Diesen Punkt illustrierte er am Beispiel des Ahrtals in Deutschland, wo beim Hochwasser im Juli 2021 enormer Sachschaden entstand und zahlreiche Todesopfer zu beklagen waren. Birkmanns Forschung im Nachgang zur Katastrophe half bei der Koordination des Wiederaufbaus und zeigte auf, dass die Bewältigung von Extremereignissen eine Chance für die Verbesserung der Resilienz gegenüber den Folgen des Klimawandels sein kann. «Differenzierte Schutzziele für hochwasserexponierte Räume sind ein wichtige Zukunftsaufgabe für die Raumplanung.» 
 

Keynote 2 – Schwierige Vorhersagbarkeit ist Problem für Versicherungen

Um Naturkatastrophen ging es auch im zweiten Keynote-Referat von Dr. Veronika Röthlisberger. Die Direktorin der Gebäudeversicherung Basel-Stadt sprach über die Versicherbarkeit von Klimafolgen. Sie startete mit einem Blick hinter die Kulissen des Versicherungswesens und erklärte das heutige System der Gebäudeversicherungen. 
     Um versicherbar zu sein, müsse ein Risiko bestimmte Kriterien erfüllen, erklärte Röthlisberger. Dazu gehört die statistische Vorhersagbarkeit, die Häufigkeit, der Zufall und die klare Definition mit einem messbaren Wert. Vor allem die Vorhersagbarkeit sei durch den zunehmenden Einfluss des Klimawandels schwieriger geworden, da Extremereignisse die Schadensbilanz in einzelnen Jahren enorm in die Höhe treiben und so starke Ausschläge verursachen. 
     Grosse Naturkatastrophen wie der Bergsturz von Blatten im Mai 2025 machen aus Sicht der Gebäudeversicherungen nur einen kleinen Anteil der Gesamtkosten aus, auch wenn solche Ereignisse für die Betroffenen oft sehr einschneidend seien. Was den finanziellen Schaden betrifft, seien hingegen Sturm-, Hagel- und Wasserschäden – die zwar im Einzelfall oft verhältnismässig geringe Kosten verursachen, dafür aber sehr häufig vorkommen – in der Summe viel bedeutender.  
 

Ein Brückenschlag zur Raumentwicklung 

Nach den beiden Keynote-Referaten nahm IRAP-Professor Andreas Schneider die Fäden auf und verknüpfte das Gehörte mit der Raumplanung. Diese könne eine wichtige Rolle bei der Minderung des Klimawandels spielen. Das IPCC hat «Landnutzung (land use)» als eine von sieben Handlungskategorien identifiziert, die zur Minderung des Klimawandels beitragen können. «Dennoch stehen wir als Querschnittsdisziplin beim Thema Klimaschutz nur am Spielfeldrand», so Schneider.
     Es sei nicht überraschend, dass sich die beiden Keynotes vor allem mit der Bewältigung der Folgen des Klimawandels beschäftigt hätten. «Klimaanpassung ist jedoch lediglich Problembewältigung. Damit bekämpfen wir das Problem nicht an der Wurzel.» Das sei symptomatisch, denn der Diskurs in der Schweiz fokussiere bislang vor allem auf Klimaanpassung. «Etwas mehr Elektrifizierung, bessere Hochwasserverbauungen und etwas Entsiegelung reichen nicht aus. Wir können nicht weitermachen wie bisher.» Echter Klimaschutz – also die Reduktion von CO2-Emissionen in den Bereichen Verkehrs- und Siedlungsentwicklung – würde erfordern, dass wir unsere Gewohnheiten und unser Konsumverhalten tiefgreifender ändern.
      «Während zum Klimawandel auf Bundes- und Kantonsstufe in Konzepten und behördenverbindlichen Planungen schon einiges geschehen ist, fehlen auf kommunaler Ebene konkrete Ansätze bisher weitgehend», sagte Schneider. «Dabei würden sie gerade dort, in der allgemeinverbindlichen kommunalen Nutzungsplanung, die grösste Wirkungskraft entfalten.» 
 

Angeregte Diskussionen in Workshops

Nach dem Mittagessen standen am Nachmittag drei Workshops zu den Themen «Verkehr & Mobilität», «Städtebau & Transformation» und «Nutzungsplanung & Klimawandel» auf dem Programm, bei denen die Teilnehmenden mitdiskutieren und sich inhaltlich einzubringen konnten. Anschliessend rapportierten die jeweiligen Workshop-Leitenden im Plenum die wichtigsten Erkenntnisse:

  • Laut Prof. Gunnar Heipp, in dessen Workshop zu Verkehr & Mobilität die Frage diskutiert wurde, wie wir bei der Mobilität zu einem CO2-Absenkpfad kommen, seien Teilenehmer der Gruppe zu folgenden Schlüssen gekommen: In der Schweiz fehle derzeit eine kohärente Mobilitätsstrategie als Grundlage für den Infrastrukturausbau sowie eine eigene landesweite Velostrategie (inkl. Schnittstellen zum ÖV), die Bund, Kantone und Gemeinden gemeinsam konsequent umgesetzt werden könnten. Zudem solle der Fokus stärker auf den inzwischen dominierenden Freizeitverkehr gelegt werden, der ein grosses Potenzial zur Emissionsreduktion bietet. Und anstatt vorrangig neu Infrastrukturen zu bauen, wäre zuerst ein konsequentes Management sowie Nutzung von Mobility Pricing der bestehenden stark ausgelasteten Verkehrsnetze sinnvoll. Ansatz, der nach Einschätzung der Teilnehmenden zwar allgemein einleuchte, in der Praxis aber angesichts beschränkten Spardrucks bei der Infrastruktur noch zu wenig im Fokus stehe. Schliesslich war man sich einig, dass in der konsequenten Umsetzung der Innenentwicklung mit dazu passenden zielgerichteten Parkierungsreglementen in den Städten in Bestand und Neubau einiges zu erreichen sei.
     
  • Im Workshop Stadtumbau & Klimaschutz diskutierten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer, ob bestehende Qualitätsstandards und Normen neu definiert werden sollten, um die Umsetzung von Klimaschutzmassnahmen im Städtebau zu beschleunigen. Laut Workshopleiterin Prof. Dr. Tanja Herdt stand dabei insbesondere die Frage im Mittelpunkt, wie künftig Qualitäten im Städtebau verstanden und definiert werden müssen, um unsere Siedlungsgebiete resilient und lebenswert zu gestalten. Nach Ansicht der Teilnehmenden sollte der Fokus der Planenden künftig weniger auf der Zertifizierung einzelner Gebäude liegen, sondern verstärkt auf der Bewertung und Zertifizierung ganzer Areale und Siedlungsgebiete. Zudem wurde eine differenziertere gesetzliche Grundlage für die Beurteilung von Bestandsbauten gefordert, damit der Schwerpunkt nicht länger auf Neubauten liegt. Als kurzfristig wirksame Hebel zur Emissionsreduktion wurden drei einfach umsetzbare Massnahmen benannt: der Verzicht auf Unterbauungen, die Anpassung des Parkplatzschlüssels sowie eine noch kompaktere Bauweise. Durch diese Massnahmen könnten nicht nur mehr Wohnungen auf gleicher Fläche realisiert, sondern zugleich erhebliche Emissionsreduktionen im Bauwesen und im Verkehr erreicht werden – und das ohne komplexe Regulierungsverfahren.
     
  • Im dritten Workshop, geleitet von Prof. Andreas Schneider, wurden konkrete Klimaanpassungs- und Klimaschutz-Mustervorschriften für die Nutzungsplanung diskutiert, die vom Planungsbüro SKW und im Rahmen eines IRAP-Forschungsprojekts entwickelt wurden. Zu den favorisierten Anpassungs-Massnahmen gehörten die Einführung einer Grünflächenziffer und einen verstärkter Baumschutz. Beim Klimaschutz unterstützte eine Mehrheit der Workshop-Teilnehmenden die Idee, die neue SIA-Norm 390/1 als verbindlich vorzuschreiben. Um dadurch in den Bereichen Gebäudeerstellung und -betrieb sowie induzierte Mobilität die Einhaltung von CO2-Grenzwerten zu gewährleisten, welche auf das Netto-Null-2050-Ziel ausgerichtet sind. 

Schlusswort und Ausblick

Abgerundet wurde die Tagung von einem Schlusswort des Ex-Journalisten und jetzigen Projektleiters beim Amt für Mobilität des Kantons Zürich, Paul Schneeberger. Er wagte eine Synthese der erarbeiteten Ergebnisse und rief den Anwesenden noch einmal das globale Umfeld in Erinnerung. «Die Statistiken der Klimaforschung und aktuelle Statements von Personen aus Ökonomie und Politik machen deutlich, der Klimawandel wird fortschreiten und es gibt starke Kräfte auf unserem Planeten, welche die angezeigte Abkehr von fossilen Treibstoffen zu bremsen oder sogar zu untergraben versuchen. Um eine Anpassung an den Klimawandel kommen wir also nicht herum.» Aber auch die Reduktion des CO2-Ausstosses in allen Bereichen sei ein Gebot, dass wir trotz diesem Gegenwind angehen müssen. Insbesondere in einem Land, das zu den reichsten der Welt gehört. 
     «Der grosse Feind der Veränderung ist die Gewohnheit und die Bequemlichkeit. Und in der Schweiz könnte man noch den Wohlstand dazu zählen», sagte Schneeberger. Doch wir als Fachleute dürften uns davon nicht abhalten lassen, entsprechende Änderungen und Neuerungen vorzuschlagen. Auch wenn absehbar sei, dass viele dieser Vorschläge politisch – noch – einen schweren Stand hätten. Wer, wenn nicht Fachleute, die die Politik beraten, könnten solche progressiven Vorschläge einbringen.  
     Die Retrospektive zur IRAP-Tagung von Paul Schneeberger wird in einer den nächsten Ausgaben der FSU-Zeitschrift «Collage» publiziert. 

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