Sprache

Polydextrie: Warum KMUs heute mehr Vielseitigkeit denn je brauchen

 

Polydextrie beschreibt die Fähigkeit von Organisationen und Führungskräften, flexibel zwischen unterschiedlichen Steuerungs- und Führungsansätzen zu wechseln – je nach Situation, Umfeld und Zielsetzung. Gerade kleine und mittlere Unternehmen (KMUs) stehen im Spannungsfeld von Stabilität und Innovation. Ein polydextrer (mehrhändiger) Ansatz kann ihnen dabei helfen, in unsicheren Zeiten widerstandsfähig und zugleich zukunftsorientiert zu bleiben. Aus einem abgeschlossenen Projekt mit drei Ostschweizer Stadtpolizeien ist der Polydextrieansatz formalisiert worden. 

 

29.09.2025

Polydextrie als Antwort auf die Multikrise

Die Welt ist komplexer, dynamischer und unvorhersehbarer geworden, nicht erst seit den Zollunsicherheiten und -auswirkungen seitens der US-Politik. Ob unter den Begriffen VUCA (Volatility, Uncertainty, Complexity und Ambiguity) oder BANI (Brittle, Anxious, Non-linear, Incomprehensible), Unternehmen stehen vor einer permanenten „Multikrise“. Für KMUs bedeutet das: Märkte verändern sich rasant, Kundenbedürfnisse wandeln sich, und gleichzeitig bleibt der Druck bestehen, effizient und verlässlich zu agieren. Genau hier setzt das Konzept der Polydextrie an. Es geht darum, situationsgerecht zwischen verschiedenen Steuerungslogiken Management, Leadership und Command zu wechseln.

Polydextrie (Eigene Darstellung in Anlehnung an Grint, 2020).

Management steht für Stabilität und effiziente Abläufe, Leadership für Vision und Inspiration, Command für klare Entscheidungen in kritischen Momenten. Polydextrie integriert diese Dimensionen und ermöglicht es, gleichzeitig Ordnung zu wahren und Veränderung zu gestalten.
Für KMUs ist das besonders relevant: Ihre Strukturen sind oft weniger formalisiert als in Grosskonzernen, wodurch schnelle Entscheidungen und flexible Anpassungen leichter fallen. Gleichzeitig fehlt ihnen häufig die Ressourcentiefe, um Fehlentscheidungen abzufedern. Polydextrie schafft hier ein Denk- und Handlungsmodell, das Stabilität und Wandel nicht als Widerspruch, sondern als notwendige Ergänzungen begreift.

Vom Kompetenzradar zur Unternehmenskultur – Polydextrie praktisch umsetzen

Damit Polydextrie in KMUs Wirkung entfalten kann, braucht es nicht nur Führungskräfte, die zwischen verschiedenen Modi wechseln, sondern auch eine Unternehmenskultur, die Vielfalt zulässt. Eine polydextre Kultur schafft Rahmenbedingungen, die sowohl Effizienz und Sicherheit als auch Innovation und Entwicklung ermöglichen.

Im Tagesgeschäft sind Regelbetriebskompetenzen gefragt. Dazu gehören zum Beispiel Organisation, Prozessmanagement und Verlässlichkeit. In Krisen sind hingegen Krisenkompetenzen wie Entscheidungsstärke, Belastbarkeit und klare Kommunikation gefragt.

Ergänzt wird das Ganze durch Werthaltungen wie Integrität, Empathie und Teamfähigkeit, die das Fundament bilden, um in beiden Situationen handlungsfähig zu bleiben. Bezogen auf Polizeiorganisationen ist nachstehendes Kompetenzradar mit den drei erwähnten Dimensionen entstanden.

Polydextres Kompetenzradar (Eigene Darstellung in Anlehnung an Olbert-Bock et al., 2025). 

Auch für KMUs eröffnet dieses Kompetenzradar konkrete Ansatzpunkte. Mitarbeitende können gezielt in ihrer Selbstführung, Kreativität oder Entscheidungsfähigkeit gestärkt werden. Führungskräfte sollten lernen, im Alltag zwischen Effizienzfokus und Innovationsfreiraum zu balancieren. Und nicht zuletzt ist Vertrauen ein zentrales Element – denn nur eine Kultur, die Fehler als Lernchancen begreift, ermöglicht echte Vielseitigkeit.

Polydextrie wird so zum strategischen Vorteil: KMUs können ihre Flexibilität nutzen, um schneller auf Veränderungen zu reagieren, gleichzeitig aber durch strukturierte Prozesse und klare Werte Stabilität sichern. Das macht sie widerstandsfähiger – und langfristig wettbewerbsfähiger.

Am Institut für Organisation und Leadership der OST

Die Kenntnis und Anwendung solcher Modelle wie dasjenige der Polydextrie ist auf Führungsebene angesiedelt. Um Unternehmen dabei zu unterstützen, Nachwuchsführungskräfte zu fördern und bestehende Führungskompetenzen zu stärken, bietet sich beispielsweise das Board Lab oder das Intensivseminar Leadership Fundamentals an. Im Board Lab wird in einem eineinhalbtägigen Board-Setting ein realer strategischer Unternehmensfall gelöst und dem Auftraggeber ein umsetzbarer Massnahmenkatalog präsentiert. Das Intensivseminar Leadership Fundamentals richtet sich an alle, die Führungsverantwortung übernehmen und dafür Orientierung sowie wirksame Tools erhalten möchten.

Quellen

Grint, K. (2020). Leadership, Management and Command in the time of the Coronavirus. Leadership, 16(3), 314–319. https://doi.org/10.1177/1742715020922445

Ivancic, R., Olbert-Bock, S., & Oberholzer, B. (2025). Equal Leadership – Gestaltung und Einführung am Beispiel der Stadtpolizeien St.Gallen, Chur und Winterthur. OST – Ostschweizer Fachhochschule. 

Ivancic, R., Olbert-Bock, S., & Oberholzer, B. (2025). Polydextrie – Zur Notwendigkeit kontextualer Vielseitigkeit: Situative Führung, Kultur- und Kompetenzentwicklung in Organisationen. Springer-Verlag.

Ansprechsperson

Bernhard Oberholzer

IOL Institut für Organisation und Leadership Wissenschaftlicher Mitarbeiter

+41 58 257 15 63 bernhard.oberholzer@ost.ch