Forschungsprojekt

«Selbstbestimmungsfähigkeit alter Menschen. Entscheidungshilfen für Interventionen durch die KESB»

In Zusammenarbeit mit den Kindes- und Erwachsenenschutzbehörden in der Deutschschweiz und dem philosophischen Seminar der Universität Hamburg sollen Entscheidungshilfen im Erwachsenenschutz entwickelt werden, die den beteiligten Professionen sowohl Orientierung bei der Entscheidungsfindung bieten, als auch das Fällen eines Entscheides im Rahmen des Ermessensspielraums unterstützen.

Die KESB hat die Aufgabe, für das Wohl und den Schutz von hilfsbedürftigen und vulnerablen Personen zu sorgen. Mit dem neuen Kindes- und Erwachsenenschutzrecht wird der Selbstbestimmung der betroffenen Personen wesentlich stärker Beachtung geschenkt, als dies bislang im alten Vormundschaftsrecht der Fall war. Damit trägt der Erwachsenenschutz dem Umstand Rechnung, dass bei alten Menschen in jedem Fall eine hinreichende Selbstbestimmung vorgelegen hat, die allerdings zum Zeitpunkt einer möglichen Intervention in Frage gestellt wird. Mit dem Eingriff in die individuelle Freiheit wird ein hohes ethisches Gut berührt, wodurch die Legitimationsbedürftigkeit von Interventionen durch die KESB und der ihnen zugrundeliegenden Entscheidungen steigt.

Massstab für die interdisziplinär zusammengesetzte Fachbehörde ist aber nicht nur der Umgang mit dem Spannungsfeld von Selbst- und Fremdbestimmung, sondern auch die Form und Qualität der Interdisziplinarität bei der gemeinsamen Entscheidungsfindung.
Die Entscheidungen beziehen sich auf Problemlagen, die keine vorgefertigten Lösungen i.S. von Handlungsrezepten zulassen, sondern immer eine Abwägung von sich oft widerstreitenden Optionen erfordern. Gerahmt von gesetzlichen Vorgaben, interdisziplinärem Professionswissen, ethischen Anforderungen und ökonomischen Mitteln ergibt sich ein Ermessensspielraum, in dem alle nicht sicheren Bestandteile der Entscheidungsfindung abgewogen werden. Auf diesen Prozess nehmen drei Faktoren Einfluss: die Emotionen der handelnden Personen, die Zeit (das Wohl der betroffenen Person hat einen doppelten Zeitbezug: Gegenwart und Zukunft) und die Ungewissheit (i.S. des Nichtwissens).

Da diese Dimensionen nicht über empirische und/oder rationale Verfahren zu bändigen sind und eine Letzt-Orientierung fehlt, wird die professionelle Intuition i.S. einer praktischen Vernunft zur massgeblichen Kraft des Entscheids im Ermessensspielraum. Hierbei gilt es zu beachten, dass die Beschränkung des subjektiv-intuitiven Erfahrungswissens zu überschreiten ist, um die professionelle Intuition nachvollziehbar, überprüfbar und übertragbar zu machen. Durch die Verbindung dieser Elemente kann die professionelle Urteilkraft gestärkt und i.S. einer spezifischen Expertise auch gezielt geschult werden.

Das Projekt hat zum Ziel, auf dieser Grundlage Entscheidungshilfen im Erwachsenenschutz zu entwickeln, die den beteiligten Professionen sowohl Orientierung bei der Entscheidungsfindung bieten als auch das Fällen eines Entscheides im Rahmen des Ermessensspielraums unterstützen.

Was ist das Besondere an diesem Projekt?
In dieser Form liegt noch keine Entscheidungshilfe für den Erwachsenenschutz vor. Die meisten Studien im In- und Ausland beziehen sich eher auf die Phase der Abklärung, also auf die Vorphase des Entscheids. Zudem geht es mehrheitlich um Fragen zur Kindeswohlgefährdung. Problemstellungen im Bereich des Erwachsenenschutzes werden hingegen stark vernachlässigt. Es ist das Anliegen des Projekts, dass nicht einfach klassische Tools und Instrumente entwickelt werden, sondern gemeinsam mit den Projektpartnern nach neuen Formen von spezifischen Entscheidungshilfen gesucht wird. Dabei soll der Versuchung einer allein rationalistischen Lösung widerstanden werden, indem rationale Elemente mit Aspekten einer professionellen Intuition zu einem Modell einer praktischen Urteilskraft verbunden werden.

Dieses Projekt ist einer der fünf Gewinner der Jahresausschreibung 2015 «BREF – Brückenschläge mit Erfolg» – ein Kooperationsprogramm von Gebert Rüf Stiftung und swissuniversities.

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