Besucherrekord an Innovationstagung zur postfossilen Gesellschaft

Medienmitteilung vom 5. Mai 2022

Das Thema der gestrigen Innovationstagung «Post Carbon» an der OST – Ostschweizer Fachhochschule in Rapperswil-Jona zog viele Menschen an: Fast 200 Teilnehmende, so viele wie noch nie, verfolgten in der ausgebuchten Aula die Präsentationen der vier Referenten. Alle legten unterschiedliche Schwerpunkte bei möglichen Strategien und Massnahmen gegen den Klimawandel. In einem Punkt waren sich aber alle einig: Die heute kommunizierten Klimaziele und deren Zwischenschritte werden aktuell verfehlt, der Kampf gegen den Klimawandel muss sich global und so rasch wie möglich beschleunigen.

Begrüssung durch Alex Simeon, Stabschef der OST – Ostschweizer Fachhochschule

Wir machen immer noch nicht, was wir versprochen haben. Mit diesem Satz liesse sich die gestrige Innovationstagung zum Thema «Post Carbon – postfossile Gesellschaft» zusammenfassen. Der ausführlichen Version dieser Feststellung folgten gestern Abend rund 200 Besucherinnen und Besucher in der Aula der OST in Rapperswil-Jona. Das Interesse am Thema war aber auch nach mehr als 2,5 Stunden Referaten nicht erschöpft. Die Besucherinnen und Besucher nutzten die Gelegenheit zur direkten Diskussion mit den Referenten noch bis spät in die Nacht. Vor dem Networking-Apéro galt es allerdings einige Bad News zu verdauen. Unverblümt offen gaben die Referenten Einblicke in ihre Sicht auf die Lücke zwischen Wunsch und Wirklichkeit, was die weltweiten Anstrengungen gegen den Klimawandel betrifft.

«Mehrheiten schaffen»

Der sechste Weltklimabericht des Weltklimarats IPCC ist kaum einen Monat alt und Referent Patrick Hofstetter vom WWF Schweiz ordnete ein: «Auch der sechste Bericht bestätigt im Wesentlichen, was der erste Bericht vor 30 Jahren bereits zusammenfasste» und je mehr man davon glaube, was Staatschefs heute erzählen, desto besser werden die Prognosen für die Zukunft des Klimas. Bereits heute liegen die Staaten weltweit aber «markant hinter dem nötigen Absenkpfad für den geplanten CO2-Ausstoss im Rahmen vereinbarter Klimaziele zurück». Mehr Ankündigen als Handeln sei aber nicht nur in der Politik zu finden, sondern auch in der Wirtschaft. Wieder Hofstetter: «60 Prozent der Unternehmen glauben an Netto-Null-Ziele, aber nur 10 Prozent der Unternehmen haben einen Plan, der mit den Klimazielen kompatibel ist». Deshalb sieht Hofstetter die Politik in der Verantwortung, so schnell wie möglich Mehrheiten für effektive Klimamassnahmen zu schaffen. Es reiche nicht, «zu warten, bis man nur noch machen muss, was die Mehrheit bereits denkt».

Fünfmal mehr Grenzschutz als Klimaschutz

Ähnliches hat auch Referent Henrik Nordborg, Studiengangleiter Erneuerbare Energien und Umwelttechnik an der OST, beobachtet. Obwohl immer mehr Unternehmen ambitionierte Klima- und Nachhaltigkeitsziele verabschieden, «steigt die atmosphärische CO2-Konzentration immer steiler an.» Oder deutlicher formuliert: «Wenn wir bisher wirklich etwas für den Klimaschutz getan haben, haben wir vergessen, die Atmosphäre darüber zu informieren», so Nordborg.

Die Herausforderungen liegen darin, dass der Klimawandel ein globales Problem sei, das sich nur global lösen lasse, aber es keine globale Regierung gibt, die verbindliche Rahmenbedingungen und Klimamassnahmen für alle erlassen könne. In der Folge würden Ressourcen für falsche Massnahmen ausgegeben. Die bezüglich CO2-Ausstoss fünf grössten Staaten der Welt geben laut Nordborg derzeit fünfmal mehr Geld für Grenzschutz aus, als für Klimaschutz.

Deshalb plädiert Nordborg für einen globalen CO2-Preis: «Es muss teurer werden, CO2 auszustossen, als es nicht zu tun». Geld sei das einzige, worüber wir uns global einig sind. Deshalb müsse man statt fehlender globaler politischer Instrumente die globalen Marktmechanismen nutzen, um das starke Verringern von CO2-Ausstoss attraktiv zu machen. Ganz ohne die Politik liesse sich das aber nicht umsetzen, denn nur die Politik könne Schlupflöcher vermeiden. «Wenn nur die EU ihren Ölverbrauch reduzieren würde, sinkt der Preis. In der Folge würden die Staaten profitieren, die Öl weiter verbrennen. Das muss verhindert werden und dafür braucht es einen verbindlichen, globalen CO2-Preis», so Nordborg.

Weniger statt mehr

Viel Futter fürs Gehirn gab es auch von Marcel Hänggi vom Verein Klimaschutz Schweiz. Der plädierte in seinem Vortrag gar für weniger statt mehr Innovation, um die Klimaziele zu erreichen. Oder konkreter: «Wir tun ja alle ganz viel für die Umwelt. Alle grossen Unternehmen und Staaten tun so wahnsinnig viel für die Umwelt und verkünden es ständig. Aber eigentlich müssten wir eben damit aufhören, so viel zu tun. Denn alles, was Menschen tun, schadet der Umwelt.» Sogar in den Klimaberichten werde meist mehr davon geschrieben, was man tun müsste und vergleichsweise wenig darüber, was man nicht mehr tun sollte. Dabei sei genau das aus wissenschaftlicher Perspektive klar: «Wir müssten weniger CO2 ausstossen, weniger Wald abholzen, weniger Energie und Ressourcen verbrauchen», so Hänggi. Aufbauen auf dieser Argumentation plädierte auch Hänggi für eine marktwirtschaftliche Lösung, um die richtigen Impulse für wirksame Klimaschutzmassnahmen zu setzen. «Der Markt ist ein Instrument zur Verwaltung von Knappheiten» und solange keine Knappheit herrsche, etwa an fossilen Brennstoffen oder dem Recht, diese zu verbrennen, gebe es für die Marktteilnehmenden keinen Grund, etwas am aktuellen Verhalten zu ändern.
 

Grünes Wachstum?

In eine ähnliche Kerbe schlug auch der vierte Referent, Leonard Creutzburg, Mitbegründer von Degrowth Schweiz. Seiner Meinung nach besteht ein Zielkonflikt zwischen wirtschaftlichem Wachstum und echter Nachhaltigkeit. Denn «grünes Wachstum ist ein Begriff, der davon ausgeht, dass wir fossile Energien und Ressourcen einfach durch erneuerbare Varianten ersetzen und dann immer weiterwachsen können». Tatsächlich sei es aber so, dass wir heute pro Punkt Bruttoinlandsprodukt zwar weniger Ressourcen wie früher benötigen, insgesamt aber dennoch immer mehr Ressourcen verbrauchen. «Die Entkopplung von Wachstum und Umweltverbrauch ist nicht bewiesen», so Creutzburg.

Sein Lösungsvorschlag lautet Postwachstum, also eine Lebensweise, die das Wohlergehen aller Menschen zum Ziel habe und gleichzeitig die ökologische Lebensgrundlage erhalten könne. Anhand von 10 Punkten erklärte er mögliche Massnahmen, wie weniger Wachstum auch ohne eine wirtschaftliche Rezession möglich sein könnte. «Wir müssen definieren, was wachsen muss – beispielsweise erneuerbare Energien und Kreislaufwirtschaft – und was nicht mehr wachsen darf – beispielsweise fossile Industrien», so Creutzburg.

Zwei weitere Innovationstagungen in 2022

Die Veranstaltung wurde in Zusammenarbeit mit dem Regionalmanagement OberseeLinth, dem Kanton Glarus sowie der Unternehmensplattform Schwyz Next durchgeführt.

Die nächsten Innovationstagungen in Rapperswil-Jona sind am 31. August (Thema: «Stromlücke – Stromversorgung der Schweiz in naher Zukunft») und am 2. November (Thema: «Achtsamkeit») geplant. Das Programm wird jeweils, sobald verfügbar, hier veröffentlicht.

Kontakt für Rückfragen:

Willi Meissner, Kommunikation OST
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