Wenn Lernende an ihre Grenzen stossen
Medienmitteilung vom 23. Oktober 2023
Über 70'000 Jugendliche haben diesen Sommer in der Schweiz ihre Lehre angefangen. Durchschnittlich 20 Prozent von ihnen brechen diese wieder ab. Die psychische Gesundheit der Lernenden spielt dabei eine bedeutende Rolle. Personalverantwortliche können in Unternehmen den entscheidenden Unterschied machen.
«Wir sind wütend aufeinander, obwohl wir das gar nicht möchten. Der Personalmangel löst im Team viel Unzufriedenheit und Stress aus. In verschiedenen Situationen entstehen dann immer wieder Konflikte», erzählt eine Lernende aus dem Gesundheitswesen. Sie und ihre negativen Arbeitserfahrungen sind kein Einzelfall. Schon während der Ausbildung sind Jugendliche heutzutage zunehmendem Stress und einer erhöhten Belastung ausgesetzt, was sich auf deren psychische Gesundheit auswirken kann.
37 Prozent der Jugendlichen von psychischen Problemen betroffen
Der Wechsel von der Schule in die Berufswelt gilt als einer der wichtigsten Übergange im Leben. «Erleben Jugendliche während dieser Zeit eine zu grosse Belastung, erhöht dies die Gefahr für die Entwicklung von psychopathologischen Symptomen», erklärt Prof. Dr. Manuel P. Stadtmann, Leiter des Kompetenzzentrums für psychische Gesundheit an der OST – Ostschweizer Fachhochschule. Eine Statistik von UNICEF verdeutlicht, wie akut psychische Probleme bei Jugendlichen sind: 37 Prozent der 14- bis 19-Jährigen in der Schweiz sind von psychischen Problemen betroffen. 29 Prozent davon wenden sich an keine andere Person.
Eine Investition in die psychische Gesundheit ist eine Investition in das Unternehmen
Viele Arbeitnehmende mit psychischen Problemen zögern, ihre Vorgesetzten darauf anzusprechen. Sie befürchten Nachteile am Arbeitsplatz. Obwohl die Diskussion über die psychische Gesundheit am Arbeitsplatz seit der COVID-19-Pandemie an Bedeutung gewonnen hat, halten Stigmatisierung und ein begrenztes Verständnis für das Thema an. «Viele Vorgesetzte sind auch gar nicht gerüstet, um mit solchen Situationen umzugehen», erklärt Stadtmann. Die Arbeitsfähigkeit ist neben dem persönlichen Wohlbefinden, Zufriedenheit, Selbstbewusstsein und Alltagsbewältigung ein definierendes Kriterium der psychischen Gesundheit. «Es ist im Interesse der Unternehmen, die psychische Gesundheit am Arbeitsplatz zu thematisieren.» Denn in Zeiten des Fachkräftemangels ist es für Unternehmen zentral, Arbeitsausfälle zu verhindern und die Produktivität der Arbeitnehmenden aufrechtzuerhalten. «Eine Investition in die psychische Gesundheit der Auszubildenden bedeutet eine Investition in unsere Gesellschaft und in die eigene Firma», betont Stadtmann.
Personalverantwortliche spielen eine Schlüsselrolle
Für die Sicherstellung des Wohlbefindens und der Entwicklung der Jugendlichen während der Berufsausbildung spielen Personalverantwortliche eine entscheidende Rolle. Es gibt verschiedene Schlüsselaspekte, die Personalverantwortliche beachten sollten. Die Sensibilisierung und Schulung von Führungskräften und Bildungsbeauftragten über die besonderen psychischen Herausforderungen sind zentral. Die psychische Gesundheit sollte laut Stadtmann in den betrieblichen Ausbildungsplan integriert werden. «Jugendliche müssen Ausbildung, Arbeit und Privatleben unter einen Hut bringen, was zu einer Überbelastung führen kann. Die Personalabteilung sollte sicherstellen, dass die Arbeitsbelastung überschaubar ist und Ressourcen zur Stressbewältigung bereitstellen», führt Stadtmann aus. Zudem ist eine korrekte Evaluation der eingeführten Massnahmen wichtig: «Es existieren beispielsweise viele Methoden zur Stressreduktion, doch nicht alle Jugendlichen reagieren gleich darauf. Stress ist dabei zentral. Dieser kann jedoch nicht synonym zur psychischen Gesundheit verstanden werden, wie das manchmal suggeriert wird.»
Individuelle Lösungen für die psychischen Probleme von Jugendlichen stehen in der Ostschweizer Kommunikationsagentur Advery im Vordergrund. Als Sozialunternehmen bildet Advery rund 20 Lernende mit psychischen oder körperlichen Schwierigkeiten aus. Das Ziel von Stefan Grob, Agenturleiter von Advery, ist es, die Lernenden möglichst gut auf den ersten Arbeitsmarkt vorzubereiten. Damit ist die Agentur sehr erfolgreich: Fast 100 Prozent der Lernenden finden nach ihrer Lehre auf dem ersten Arbeitsmarkt eine Anstellung. Bei Advery gibt es zudem fast keine Lehrabbrüche. Das steht im starken Kontrast zum ersten Arbeitsmarkt, wo rund jede fünfte Person die Lehre nicht beendet. «Wie wir arbeiten, kann man nicht direkt auf ein wirtschaftliches Unternehmen übertragen. Es gibt jedoch Elemente, die für den ersten Arbeitsmarkt interessant sein können», zeigt Grob auf.
Was die Wirtschaft vom zweiten Arbeitsmarkt lernen kann
Als Erfolgskriterium in der Praxis sieht Grob die Führungskultur im Unternehmen. Aus der Forschung ist bekannt, dass sich Jugendliche heutzutage mehr Kommunikation auf Augenhöhe wünschen. Partizipation wird bei Advery deshalb aktiv gelebt: «Unsere Lernenden arbeiten nicht für den Papierkorb. Sie übernehmen Verantwortung für reale Aufträge aus der Wirtschaft, haben Kundinnen- und Kundenkontakt, übernehmen Projektleitungen, sind an Briefings dabei und präsentieren sogar Pitches. Darin sind wir einzigartig», erklärt Grob. Sinnvolle Projekte statt theoretischer Aufgaben geben den Lernenden laut Grob viel Motivation und Wertschätzung. Dabei wird besonders auf deren Ressourcenorientierung fokussiert. «Unseren Lernenden wurde ihr ganzes Leben lang gesagt, was sie nicht gut können. Sie wissen ganz genau, mit was sie Schwierigkeiten haben. Bei Advery stärken wir ihre Stärken», verdeutlicht Grob. Als sinnvoll erachtet Grob auch regelmässige Standortgespräche mit den Lernenden. Indem Raum für offene und achtsame Kommunikation geschaffen wird, kann besser wahrgenommen werden, wie es um die psychische Gesundheit der Lernenden steht. Dies kann zudem eine frühzeitige Intervention ermöglichen. Ob diese inklusive Ausbildung ein Blueprint für die Wirtschaft darstellt, bleibt offen. Für Stefan Grob ist jedoch klar, dass seine Lernenden zufrieden sind. «Ihr seid die ersten Menschen in meinem Leben, die an mich glauben», zitiert Grob eine Lernende bei Advery.
CAS Stress und Stressmanagement
Stress wurde von der Weltgesundheitsorganisation als eine der grössten Gesundheitsgefahren des 21. Jahrhunderts erklärt. Im CAS Stress und Stressmanagement an der OST – Ostschweizer Fachhochschule erlangen Sie das Wissen und die praktischen Fähigkeiten, um Stress in verschiedenen Lebensbereichen zu erkennen, zu verstehen und effektiv zu bewältigen.
Für Rückfragen:
- Nora Lüthi, Kommunikation Fachabteilung IQT, 058 257 13 31, nora.luethi@ost.ch
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