Kein Grund für eine Pause

Medienmitteilung vom 24. Juni 2022

Die erfolgreiche Besetzung von Geschäftsleitungen und Verwaltungsratsmandaten mit kompetenten Frauen ist für mittelgrosse Unternehmen nach wie vor eine deutliche Herausforderung. Zu diesem Fazit kommt das Projekt «Wie mittelgrosse Unternehmen Frauen für ihr Top-Management gewinnen» der OST – Ostschweizer Fachhochschule, das während der letzten vier Jahre die Situation in der Schweiz untersuchte. Es gibt aber Licht am Horizont.

Wie gewinnen mittelgrosse Unternehmen Frauen für ihr Top-Management? An einer Veranstaltung der OST wurden Resultate vorgestellt.

Im Swiss Market Index (SMI) sind die 50 grössten und liquidesten Unternehmen des Schweizer Aktienmarktes enthalten. Aus dieser SMI-Familie gibt es gute Nachrichten: «Der Frauenanteil in den Geschäftsleitungen ist um 5 Prozentpunkte auf 19 Prozent gestiegen. Und im Verwaltungsrat wird der Richtwert von 30 Prozent Frauen geknackt – drei Jahre vor Anlauf der Übergangsfrist, die das neue Aktienrecht vorgibt», sagt Silvia Coiro, die beim Unternehmen Schilling Partners Executive Search für den so genannten «Schillingreport» verantwortlich ist. Auch eine Analyse der hundert grössten Schweizer Unternehmen sende aus Sicht der Gleichstellung ein positives Signal: «Auch hier ist der Frauenanteil gestiegen: In 36 Prozent der vakanten Geschäftsleitungspositionen wurden Frauen berufen.»

Kein Dominoeffekt

Noch lange kein Grund, sich auszuruhen, findet Sibylle Olbert-Bock, Professorin für Leadership und Personalmanagement an der OST – Ostschweizer Fachhochschule: «Wenn Frauen in Verwaltungsräten Einsitz nehmen, kommt es nicht automatisch zu einem Dominoeffekt oder zu mehr Frauen in Geschäftsleitungen. Aus wissenschaftlichen Arbeiten weiss man ausserdem, dass es mindestens einen Drittel Frauen in den Gremien braucht, damit sie mit eigenständigen Einschätzungen in der Führungsetage Gehör finden.»

Netzwerk ist entscheidend

Während den letzten vier Jahren hat ein Team um Olbert-Bock den Besetzungsprozess in Geschäftsleitungen und Verwaltungsräten von mittelgrossen Unternehmen untersucht, die Netzwerke der Frauen analysiert und sie auf dem Weg zu einem VR-Mandat gecoacht. Finanziert wurde das Projekt durch das Eidgenössische Büro für die Gleichstellung von Frau und Mann (EBG). Nun liegen Erfahrungen und Untersuchungsergebnisse vor, die an einer Tagung im BMW Group Branding Experience Center in Dielsdorf (ZH) vorgestellt wurden. «Die Resultate zeigen, dass der Auswahlprozess stark an Netzwerken der Verwaltungsratsmitglieder oder jenen der Personalberater orientiert ist und Verwaltungsratsmandate selten ausgeschrieben werden. Gerade in mittelgrossen Unternehmen werden die Mandate oft ‹unter der Hand› vergeben», weiss OST-Dozentin und Mitautorin Rosella Toscano-Ruffilli. Das bestätigt auch Dominique Faesch, Präsidentin des Cercle Suisse des Administratrices (CSDA): «Die Vernetzung ist entscheidend. Ohne Netzwerk wird es schwierig, ein Verwaltungsratsmandat zu bekommen, da nützt auch ein guter Lebenslauf wenig».

Auch Unternehmensberater Roger Nellen, Inhaber und Geschäftsführer von Nellen & Partner, beobachtet, dass Frauen für Geschäftsleitungen und Verwaltungsratsmandate gesucht seien. «Sie sind aber zu wenig sichtbar». Und wie seine Vorrednerinnen plädiert auch Nellen für mehr Netzwerkpflege – ein Sachverhalt, den auch OST-Professorin Sibylle Olbert-Bock betont: «Der Unterhalt der Netzwerkkompetenz wird zu einer wesentlichen Eigenschaft, wenn Verwaltungsratsmandate angestrebt werden.»

Entscheidender Karriereschritt

Prisca Hafner ist seit zwei Jahren Verwaltungsrätin der V-Zug Holding AG. Die ehemalige Personalmanagerin der Comet Group und der Oerlikon Balzers AG konzentriert sich seither ganz auf diese neue Funktion: «Ein Verwaltungsratsmandat ist ein entscheidender Karriereschritt», so Hafner an der OST-Tagung. Ihre Erfahrung: «Frauen in Geschäftsleitungen und Verwaltungsräten sind eine Bereicherung.» Als eines der wenigen Schweizer Unternehmen ist der Verwaltungsrat des Haushaltgeräte-Herstellers V-Zug paritätisch zusammengesetzt: drei Frauen, drei Männer. «Damit haben wir nur gute Erfahrungen gemacht», sagt Prisca Hafner.

Diese Einsicht setze sich auch bei den Schweizer Unternehmen durch. «Viele mittelgrosse Schweizer Unternehmen erwägen eine Erhöhung des Frauenanteils. Talentbezogene Überlegungen und die Rekrutierung aus neuen oder grösseren Netzwerken stehen dabei mit 41 Prozent im Vordergrund, da Frauen eben nicht aus den ‹üblichen› Netzwerken stammen», zitiert OST-Professorin Sibylle Olbert-Bock aus den Projektergebnissen. Wichtige weitere Gründe für die Erhöhung des Frauenanteils seien die Chancengleichheit als Wert an sich (33 Prozent) sowie die Reputation bzw. die Aussenwirkung für das Unternehmen (31 Prozent). Allerdings zeige sich auch, dass die Unternehmen die bestehenden Möglichkeiten im Rekrutierungsprozess nur zögerlich nutzten, um alternative Profile und Frauen für das Top Management und Boards zu finden.

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