Kreislaufwirtschaft: «Nachhaltigkeit muss auch Geld bringen»

Medienmitteilung vom 25. August 2023

Selbst ohne Bodenschätze können Unternehmen, Städte und ganze Länder ihre eigenen Rohstofflieferanten werden. Das Prinzip der Kreislaufwirtschaft verspricht vor allem für hochentwickelte Industriestaaten enormes Potenzial. Wenn wie in der Schweiz viel Abfall auf eine organisierte, moderne Abfallwirtschafft trifft, sind die Voraussetzungen für eine Kreislaufwirtschaft ideal. Welche Chancen sich daraus ergeben und welche Hürden uns heute noch an einer geschlossenen Kreislaufwirtschaft in Bereichen wie Kunststoff- oder Bauwirtschaft behindern, wurde am 23. August an der OST bei der 50. Innovationstagung zum Thema Kreislaufwirtschaft diskutiert.

Beispiele für erfolgreiche Kreislaufwirtschaft gibt es bereits, das PET-Recycling ist darunter nur das bekannteste. Schon heute werden aus abgebrochenen Gebäuden und Strassen neue Bau-Rohstoffe, Kunststoffabfall aus dem Meer wird wieder zu Kunststoff-Granulat und zu neuen Produkten, Kehricht wird zu Wärmeenergie, Speise- und Grünabfälle werden zu Biogas. Das Potenzial ist jedoch noch lange nicht ausgeschöpft und auch an der OST forschen unsere Institute immer weiter an neuen, besseren und effizienteren Kreislaufwirtschafts-Technologien und -Methoden.

An der Innovationstagung vom 23. August 2023 beschäftigten sich vier Referentinnen und Referenten mit dem Fokusthema Kreislaufwirtschaft und gaben Einblicke, wie eine Zukunft aussehen kann, in der unsere Abfälle einen grossen Teil unserer Rohstoffbedürfnisse decken werden und wie viel von dieser Zukunft bereits heute Realität ist.

Wie Unternehmen Kreisläufe umsetzen und profitieren
Den Einstieg ins Thema Kreislaufwirtschaft lieferte André Podleisek, Nachhaltigkeitsbeauftragter der OST und Professor für Nachhaltigkeit und Qualität in der Industrie. Am Modell des «Value Hill» veranschaulichte er, wie Unternehmen Werte erhalten und mehrfach gewinnbringend nutzen können. Mit den Ergebnissen einer empirischen Studie unter rund 500 Teilnehmenden in Unternehmen in Europa (hauptsächlich KMU) zeigte Podleisek zudem auf, welche Konzepte Unternehmen heute bereits verfolgen und welchen Gewinn die Kreislaufwirtschaft konkret bringt. So stimmten etwa 87 Prozent der Unternehmen der Aussage zu, dass sich durch Kreislaufwirtschaft das Unternehmensimage verbessert hat und gleichzeitig Abfall eingespart werden konnte (86 Prozent). Auch die harten Unternehmensfaktoren, Verkäufe (60 Prozent Zustimmung) und Gewinn (54 Prozent) haben sich laut den Studienteilnehmenden durch die Einführung von Kreislaufwirtschaftsprozessen positiv entwickelt. Optimierungsbedarf sehen die Unternehmen aktuell noch in den Bereichen Herstellungskosten (36 Prozent Zustimmung) und Materialkosten (34 Prozent).

Zusammen mit Mikroben und Pilzen zur regenerativen Landwirtschaft
Wer beim Stichwort regenerative Landwirtschaft an ideologische Träumerei für eine naturnahe und trotzdem ertragreiche Gemüseproduktion dachte, wurde im Vortrag von Markus Bernhardsgrütter eines Besseren belehrt. Der Leiter des Biohofs Mädertal bewirtschaftet knapp 22 Hektar Land rund um Gossau SG nach diesem Prinzip – erfolgreich. «Das beste, nachhaltigste, natürlichste Produkt nützt Ihnen nichts, wenn es nicht am Markt besteht», stellte er direkt zu Beginn klar. Trotzdem investiert der Landwirt mit seinem Team viel Energie und Lernbereitschaft in Anbaumethoden, die ohne Kunstdünger und Schädlingsbekämpfung auf das Schaffen und Erhalten eines gesunden Bodens setzt. Wissenschaftsbasiert und detailliert erklärte Bernhardsgrütter, wie er den Humusanteil in seinen Böden Schritt für Schritt fördert und welche Vorteile er damit gegenüber konventioneller Landwirtschaft hat. «Wenn ich den Humusanteil pro Hektar um ein Prozent erhöhen kann, kann der Boden rund 400 000 Liter mehr Wasser und zusätzlich auch noch mehr CO2 speichern – das beugt Erosionen und Ausschwemmungen vor und hilft, langfristig einen gesunden Boden zu erhalten und einen Beitrag an eine klimafreundliche Landwirtschaft zu leisten», sagt er. Regenerative Landwirtschaft sei keine Ideologie, sondern ein Geschäftsmodell, das neben guten Erträgen vor allem auf nachhaltige Bewirtschaftung abziele. Gleichzeitig könne er den Maschineneinsatz damit reduzieren: «Ein gesunder Boden läuft wie Wasser durch die Maschinen, das reduziert die Anforderungen an unseren Maschinenpark», so Bernhardsgrütter.

Geschäftsmodelle für eine Kreislaufwirtschaft im Bauwesen
In vermeintlich unnatürliches Terrain wagte sich anschliessend Susanne Kytzia. Leiterin des Instituts Institut für Bau und Umwelt der OST. Das Bauwesen steht im politischen und wissenschaftlichen Fokus der Kreislaufwirtschaft, denn durch Bautätigkeiten werden rund 70 Prozent des inländischen Materialverbrauchs versursacht. Obwohl gesetzliche Vorschriften teils Wiederverwertungen vorschreiben, sieht Kytzia noch Luft nach oben. Denn gleichzeitig sorgen politische und gesetzliche Rahmenbedingungen mit dafür, dass die Wiederverwertung von Bauabfällen noch zu oft teurer als der Einkauf von neu geförderten oder produzierten Rohstoffen wie Kies, Zement und Beton ist. «Nachhaltigkeit muss auch Geld bringen, sonst gibt es für die Unternehmen keine Gewinne, die wieder reinvestiert werden können», so Kytzia. Neben vielen Beispielen, wie Aushub, Beton, Asphalt und Co wiederverwendet werden können, plädierte sie dafür, die Anreize für die Verwendung von recycelten Baustoffen zu verbessern. «Solange Sekundärrohstoffe keinen Preisvorteil gegenüber primären erhalten, werden Unternehmen nicht mehr rezyklieren, als sie müssen», so Kytzia.

Kunststoffe auf dem Weg in die Kreislaufwirtschaft
Den Abschluss der 50. Innovationstagung lieferte Daniel Schwendemann vom Institut für Werkstofftechnik und Kunststoffverarbeitung der OST mit dem Reizthema Plastik und der Frage, warum sich die Schweiz beim Kunststoffrecycling vergleichsweise schwertut. Mit 125 Kilogramm Kunststoffverbrauch pro Kopf ist die Schweiz Weltmeisterin in der Produktion von Plastikabfall. Ein Verbrauch, der sich laut Prognosen noch verdoppeln wird. Recycling ist, abgesehen von Erfolgen wie dem PET-Recycling, jedoch nicht die übliche Praxis, denn: «Recycelte Kunststoffe bedeuten oft Downcycling und damit lässt sich kaum Geld verdienen – also recycelt die Industrie aus wirtschaftlichen Gründen weniger, als technisch möglich wäre», so Schwendemann. Am Beispiel eines gemeinsamen Projekts mit der Firma Freitag zeigte er, dass es auch anders gehen kann. Aus in der Schweiz recycelten Skischuhen wird einheimisches Kunststoffgranulat für neue ebenfalls in der Schweiz produzierte Handyhüllen hergestellt, die wiederum in der Schweiz rezyklierbar sind. «So lässt sich Wertschöpfung im Inland generieren, Geld verdienen und gleichzeitig die Abhängigkeit von globalen Lieferketten verringern», so Schwendemann. Die Lösung sei deshalb nicht der Umstieg auf 100 Prozent Kreislaufwirtschaft über Nacht, sondern eine überlegte Entwicklung Schritt für Schritt: «Wer viele Kunststoffe in den betrieblichen Prozessen hat, kann auch viel rezyklieren – wenn man die Zeit investiert, herauszufinden, wo Recycling eine sinnvolle und wirtschaftliche Alternative zum Fortwerfen ist», so Schwendemann.

Die nächste Innovationstagung zum Thema «Resilienz» findet am 15. November 2023 statt. Das Programm wird, sobald verfügbar, hier online aufgeschaltet.

André Podleisek informiert zu Kreislaufwirtschaft in Unternehmen
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Susanne Kytzia informiert über die Kreislaufwirtschaft in der Baubranche