VinylAcid - Salzsäure aus stofflich nicht recyclierbarem PVC

Im Forschungsprojekt «VinylAcid» des UMTEC wurden PVC-haltige, stofflich nicht verwertbare Abfälle gezielt in Kehrichtverbrennungsanlagen KVA eingeschleust. Hierdurch wird in der Rauchgaswäsche zusätzliche Salzsäure produziert, die zur Extraktion von Schwermetallen aus der KVA-Filterasche eingesetzt wird.

Hintergrund

Zwecks Metallrückgewinnung werden heute in der Schweiz rund 2/3 der Flugaschen aus Kehrichtverbrennungsanlagen (KVA) im FLUWA-Verfahren «sauer gewaschen». Die erforderliche Säure, hauptsächlich Salzsäure (HCl), wird durch die nasse Reinigung der Abgase von KVA erzeugt und substituiert HCl in «technischer Qualität». Ungefähr die Hälfte der in Rauchgaswäschern zurückgewonnenen HCl stammt aus der Verbrennung von PVC-haltigen Abfällen. Ab 2026 müssen alle KVA-Flugaschen in der Schweiz sauer gewaschen werden. Die in Schweizer KVA erzeugte Säure reicht hierfür nicht aus, sodass diese zugekauft werden müsste. Im Projekt VinylAcid wurden PVC-haltige Abfälle, die stofflich nicht recyclierbar sind, gezielt in KVA mit Rauchgaswäsche eingeschleust. Hierdurch wird die HCl - Menge erhöht und diese muss für die FLUWA nicht dazugekauft werden. Hinzu kommt, dass alte PVC-Abfälle häufig Schwermetalle wie Blei und Cadmium enthalten, und daher nicht stofflich recycelt werden können, sondern thermisch verwertet werden müssen. In der Eurozone verfügen die meisten KVA über eine trockene Rauchgasreinigung und die Flugaschen aus diesen Anlagen werden in Untertagdeponien abgelagert. In solchen Anlagen ist die Säuregewinnung technisch nicht möglich. Werden die PVC-Abfälle jedoch in Schweizer KVA mit Rauchgaswäsche und FLUWA eingesetzt, kann daraus nicht nur HCl hergestellt werden, sondern die darin enthaltenen Schwermetalle werden sogar recycelt. Dieses «chemische» Recycling von PVC zu Salzsäure ist eine sinnvolle Ergänzung zum stofflichen PVC-Recycling.

Das Grossprojekt VinylAcid wurde vom Institut für Umwelt- und Verfahrenstechnik der Ostschweizer Fachhochschule Rapperswil (UMTEC) in Zusammenarbeit mit dem Kunststoff-Branchenverband Kunststoff.swiss und der KVA Thun durchgeführt und von der BAFU Umwelttechnologieförderung unterstützt.

Versuche

In zwei Versuchen im August 2021 und im März 2022 wurden PVC-haltige Abfälle im laufenden Betrieb der KVA Thun dem normalen Abfall beigemischt (Abb. 1). Im ersten Versuch wurden während 5 Tagen 40 t Kunststoffsortierreste mit niedrigem Chlorgehalt (Chlorgehalt ca. 3%) eindosiert. Im Versuch 2 wurden über 17 Tage total 80 t stark chlorhaltige Abfälle (Chlorgehalt ca. 20%) zugemischt.

Abbildung 1: Links: Sortierreste aus der Kunststoffsortierung für Versuch 1. Rechts: PVC-Bodenabschnitte für Versuch 2.

Ergebnisse

Gegenüber der jeweiligen Referenzperiode 8 Wochen vor den Versuchen stieg die mittlere tägliche Säureproduktion im Versuch 1 um 33 % und im Versuch 2 um 45 % an (Abb. 2). Über die Bilanzierung der Chloridgehalte der Verbrennungsrückstände wurde gezeigt, dass praktisch das gesamte Chlor, welches dem Abfall mittels Beimischung von PVC zugesetzt worden war, tatsächlich zu Salzsäure umgesetzt wurde.

Abbildung 2: Steigerung der Säureproduktion und der HCl Konzentration im Rauchgas in den beiden Versuchen gegenüber dem Normalbetrieb ohne PVC-Dosierung (Ref).

Die Konzentrationen an flüchtigen Schwermetallen in den Flugaschen waren während der beiden Versuche höher als im Normalbetrieb (Abb. 3). Das zusätzliche Chlor im Abfall bildete offenbar vermehrt leichtflüchtige Schwermetallchlorid-Verbindungen, wodurch diese Schwermetalle aus der Schlacke (Rostasche) in die Flugasche transferiert wurden. Dieser Effekt ist durchaus erwünscht, denn aus der Flugasche werden anschliessend die wasser- respektive säurelöslichen Schwermetalle im FLUWA Verfahren extrahiert und recycliert.

Abbildung 3: Schwermetall-Totalgehalte in den Flugaschen während den beiden Versuchen im Vergleich zum Basisszenario im Normalbetrieb ohne PVC-Zugabe.

Potenziell problematisch könnte eine erhöhte Korrosion durch Chlor sein. Die Bildung von Ablagerungen auf den Wärmetauschern ist allerdings nur anfänglich dem Chlor geschuldet und ist grundsätzlich nicht verhinderbar, da im Abfall ohnehin Chlor enthalten ist. Damit ist die Korrosion zwar chlor- aber nicht PVC-spezifisch. Folglich war nicht zu erwarten, dass eine moderate Erhöhung der Chlormengen im Abfall zu verstärkter Korrosion führt. Bei der Revision der KVA Thun direkt im Anschluss an den Versuch 2 wurde auch keine verstärkte Korrosion festgestellt.

Schlussfolgerungen

Das Prinzip VinylAcid, also das chemische Recycling von Chlor und Schwermetallen aus nicht stofflich recyclierbaren PVC-Abfällen, funktioniert. Die Verbrennung von moderaten Mengen an zusätzlichem PVC in einer mit Rauchgaswäsche ausgestatteten KVA ist gut beherrschbar und die Säuremenge wird etwa proportional zur Erhöhung der PVC-Menge gesteigert. Das zusätzliche Chlor und die Wärme führen zum verstärkten Transfer von flüchtigen Schwermetallen aus der Schlacke in die Flugasche, aus der sie mit der sauren Flugaschenwäsche wieder zurückgewonnen werden können. Es wurde keine erhöhte Korrosion beobachtet.  

VinylAcid ist aus doppelter Sicht eine sinnvolle Ergänzung zum stofflichen PVC-Recycling:

  • Ökologisch, da durch den erhöhten Transfer von Schwermetallen in die Flugasche und die Rückgewinnung dieser Schwermetalle mittels FLUWA, Primärressourcen geschont werden. Die Säure substituiert technische HCl, deren Produktion ansonsten Energie und Ressourcen verbrauchen würde.

  • Wirtschaftlich, denn zusätzlich produzierte Säure ersetzt technische HCl, die zu Marktpreisen teuer zugekauft werden müsste. Weiter bietet sich für die KVA eine zusätzliche Einnahmequelle durch Annahme solcher PVC-Sortierreste (Gate-Fee). In der EU fallen immer noch grosse Mengen an PVC an, das viel Blei enthält. Dieses Material ist nicht stofflich recyclebar, aber es kann, in Schweizer KVA mit Rauchgaswäsche, verbrannt werden, wobei das Blei mittels FLUWA recycelt wird.

Nachfolgeprojekt VinylMet

Durch die PVC-bedingte Verlagerung der Schwermetalle von der Schlacke in die Flugasche wird die Schlacke an Schwermetallen abgereichert und die Flugasche an Schwermetallen angereichert. Diese Verlagerung der Schwermetalle bietet die Möglichkeit einer zusätzlichen Schwermetallrückgewinnung aus den Rückständen der Müllverbrennung. Dies ist nicht nur ökologisch vorteilhaft, sondern durch die höhere Schwermetallfracht in der Flugasche kann auch ein höherer Erlös für die zusätzlich gewonnenen Schwermetalle erzielt werden. Und zwar bei gleichen Kosten, da die saure Wäsche in der Schweiz obligatorisch ist und ohnehin durchgeführt wird. Darüber hinaus wird durch die Verlagerung der Schwermetalle aus der Schlacke in die Flugasche die Schlacke an Schwermetallen abgereichert, was die Schlackenqualität verbessert. Da die Schlacke in der Schweiz auf Deponien des Typs D abgelagert wird, gelangen somit weniger Schwermetalle auf die Deponie. Besonders bei Schlacken, die als Baustoff verwendet werden (wie in der EU praktiziert), wäre eine Abreicherung der Schlacke an Schwermetallen von grossem Vorteil.

Die Verlagerung der Schwermetalle von der Schlacke in die Flugasche infolge PVC-Zugabe in die KVA wird im Nachfolgeprojekt VinylMet genauer untersucht. Ziel von VinylMet ist es, den Machbarkeitsnachweis des Verfahrens zu erbringen und den durch die PVC-Mitverbrennung erzielten Schwermetalltransfer zu bilanzieren. Damit soll die Grundlage für eine aktive Nutzung dieses Effekts geschaffen werden.

Im Zentrum des Projektes steht ein mindestens vierwöchiger Grossversuch in der KVA Basel Ende 2024, wobei dem Kehricht ca. 200 Tonnen nicht rezyklierbare hochchlorierte PVC-Abfallfraktionen zudosiert werden. Diese PVC-Zudosierung betrifft den Kehricht der Ofenlinie A, während die Ofenlinie B weiterhin mit «normalem Kehricht» beschickt wird (Referenzlinie). Im Vergleich zur Linie B kann bei gleichem Abfallinput der PVC-induzierte zusätzliche Schwermetalltransfer aus der Schlacke A in die Flugasche A quantifiziert werden.

Auch das Folgeprojekt wird durch die BAFU-Umwelttechnologieförderung mitfinanziert. Im Projektteam sind neben der KVA Basel (IWB) der Schweizerische PVC-Dachverband PVCH und die Stiftung ZAR engagiert.

Autor: Andreas Gauer