«Die Hitze tötet uns»

Medienmitteilung vom 28. September 2023

Zunehmende Hitzetage und Trockenheit prägen vermehrt unseren Alltag. Und dies hat immer mehr Auswirkungen auf die Gesundheit der Bevölkerung. Wie Gemeinden den künftigen Hitzebelastungen im Siedlungsgebiet entgegenwirken können, war Thema der vierten Klimakonferenz, organisiert vom Klimacluster der OST – Ostschweizer Fachhochschule in Kooperation mit dem Amt für Wasser und Energie des Kantons St.Gallen.

Raumplaner Alexander Biber erstellt Klimakarten für den Kanton St.Gallen.

Das Jahr 2023 schreibt Geschichte: Noch nie hatten wir einen so heissen Sommer, seit die Temperatur auf der Erde gemessen wird. Und mit grösster Wahrscheinlichkeit wird das Jahr 2023 zu den fünf wärmsten Jahren der Geschichte gehören, so die Prognose des US-amerikanischen National Centers for Environmental Information. Bislang liegt es bereits an dritter Stelle.

In der Ostschweiz ist die Klimaerhitzung besonders deutlich zu spüren: Während die globale Durchschnittstemperatur um 1,3 Grad Celsius wärmer ist, verglichen zum vorindustriellen Niveau (1850-1900), liegt der Schnitt im Kanton St.Gallen bei über zwei Grad. «Wir erleben eine enorme Zunahme von Hitzetagen. Die Klimaerhitzung ist real – heute für uns und erst recht für unsere Nachkommen», sagte Michael Eugster, Leiter Amt für Wasser und Energie des Kantons St.Gallen, an der vierten Klimakonferenz in Rapperswil-Jona. Rund achtzig Personen von Planungsbüros, kommunalen und kantonalen Behörden haben am Dienstagnachmittag an der vom Klimacluster der OST – Ostschweizer Fachhochschule in Kooperation mit dem St.Galler Amt für Wasser und Energie organisierten Klimakonferenz teilgenommen. Diskutiert wurde, wie Gemeinden den künftigen Hitzebelastungen im Siedlungsgebiet entgegenwirken können.

St.Galler Klima ohne Meer

Ein wichtiges Tool ist dabei die Raumplanung. «Die ‹graue Verdichtung› muss zwingend begleitet werden von ‹grün-blauen Elementen›», sagte Alexander Biber vom St.Galler Amt für Raumplanung und Geoinformation. Gemeint sind damit Grünflächen, auf denen das Regenwasser versickern kann, Bäume und begrünte Dächer und Fassaden. «Gegenüber dem Umland ist es in der Stadt um über zehn Grad heisser, Städte sind Hitzeinseln», so der kantonale Raumplaner, der die künftige Temperaturentwicklung in der Stadt St.Gallen mit dem Klima in Südspanien verglich – «nur ohne Meeranschluss». Um diese «grün-blaue Verdichtung» besser planen und gestalten zu können, entwickle der Kanton derzeit sechs Klimakarten, die bis Ende 2023 auf dem Geoportal abrufbar seien.

Mehr Stadtgrün

Wie eine grün-blaue Verdichtung aussehen könnte, erläuterte Nachhaltigkeitsexpertin Melanie Diem am Beispiel des Projekts «Grünes Gallustal». «Grünes Gallustal» ist eine Vision der Zivilgesellschaft für eine grünere Stadt St.Gallen. Anhand von 14 konkreten Massnahmen zeigt das Projekt auf, wo Grünräume im Stadtgebiet flächendeckend ausgebaut und untereinander vernetzt werden können. So werde die Biodiversität in der Stadt gefördert und die Folgen des globalen Klimawandels gemildert. «Wir brauchen mehr Grün-Korridore, multifunktionale Räume und begrünte Restflächen», so die grünliberale Stadtparlamentarierin. Eine Idee, die Nicolas Perrez vom Amt für Städtebau in Winterthur bereits mit einzelnen Projekten aktiv angeht, um den Hitzestress zu minimieren, wie er sagte. Künftig sollen weitere Massnahmen hinzukommen, so wolle man beispielsweise Winterthur zur «Schwammstadt» entwickeln.

Ein Thema, mit dem sich auch Tobias Baur vom Institut für Landschaft und Freiraum der OST – Ostschweizer Fachhochschule beschäftigt. Grün-blaue Infrastrukturen seien «der Schlüssel für attraktive Freiräume», sagte der Landschaftsgestalter an der Klimakonferenz. «Es braucht nicht immer das grosse Konzept. Man kann auch einfache Prinzipien und Gelegenheiten nutzen – mehr Bäume und Grün, mehr Schatten, weniger versiegeln und das Wasser mitdenken», ergänzten Andreas Schneider und Philipp Krass in ihrem Referat. Die beiden Raum- und Stadtplaner befassen sich am Institut für Raumentwicklung der OST mit der Innenentwicklung von kleinen und mittelgrossen Gemeinden.

Photovoltaik an die Fassade

Igor Bosshard vom Institut für Solartechnik der OST setzte die Gebäudetechnik in den Mittelpunkt seiner Ausführungen. So plädierte er unter anderem dafür, neben den Dächern auch die Gebäudefassaden mit Photovoltaik auszurüsten. Auch müsse man sich vermehrt mit Anergie-Netzen beschäftigen: «Wir bauen Fernwärmenetze, aber wir machen uns keine Gedanken, wie wir Kälte bereitstellen können», so der Experte.

«Es braucht dringend Massnahmen»

Was die Klimaerhitzung aus gesundheitlicher Sicht bedeutet, erläuterte Karin Faisst, Leiterin des St.Galler Amtes für Gesundheitsvorsorge: «Der Klimawandel ist die grösste Bedrohung der menschlichen Gesundheit im 21. Jahrhundert», zitierte sie ein Grundsatzpapier des World Health Summit, dem Weltgesundheitsgipfel. «Wir müssen dringend Massnahmen umsetzen, weil: die Hitze tötet uns!», so die Präventivmedizinerin. So habe man beispielsweise im vergangenen Jahr mehr Hitzetote registriert als Verkehrstote. Der Kanton St.Gallen erarbeite derzeit einen «Hitzeaktionsplan», der ein Frühwarnsystem beinhalte, aber auch Sensibilisierungskampagnen und Empfehlungen für städtebauliche Massnahmen.

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