Rückblick Kulturzyklus Kontrast 2022

24.11.2022

Kunstschaffende stellen ihre Werke vor

Nach zwei Jahren Pandemie und etlichen Podcasts konnten Interessierte wieder einmal das Schaffen von Künstlerinnen und Künstlern mit Beeinträchtigung im Fachhochschulzentrum bestaunen. Vom 25. bis 27. Oktober 2022 fand der Kulturzyklus Kontrast des Departements Soziale Arbeit zum neunten Mal statt. Zu sehen waren Kunstwerke, die mit dem Mund gemalt werden, das Kurzfilmfestival look&roll und eine spannende Lesung über das Borderline-Syndrom.

Assistenzhund unterstützt beim Malen

Der Kulturzyklus Kontrast 2022 wurde mit einer Vernissage von Kunstwerken von Mund- oder Fussmalenden Kunstschaffenden eröffnet. «Wir freuen uns riesig, euch bei uns zu haben», begrüsst Stefan Ribler, Projektleiter des Kulturzyklus Kontrast die Mundmalerin Bracha Fischel und den Mundmaler Antoine Leisi. «Seit Jahren haben wir versucht, eine Veranstaltung mit eurem Verein zu organisieren – dieses Jahr hat es endlich geklappt.»

Die Mundmalerin Bracha Fischel und der Mundmaler Antoine Leisi sind Mitglieder im Kunstverlag Au, Genossenschaft der mund- oder fussmalenden Künstler (GMFK), der die ausgestellten Bilder zur Verfügung gestellt hat. Die beiden Kunstschaffenden gaben im Gespräch mit Renate Ribler spannende Einblicke in ihr Kunstschaffen. «Malen mit dem Mund ist wie Malen mit den Händen, auch wenn ich jetzt mit dem Mund um Welten besser male, als damals noch mit den Händen», erzählt Fischel schmunzelnd dem Publikum. Beim Malen unterstütze sie auch ihr Assistenzhund Donna, der an diesem Abend schlafend neben ihrem Rollstuhl lag. Anders als Bracha Fischel hatte Antoine Leisi vor seinem Unfall, der ihn zum Tetraplegiker machte, mit Kunst gar nichts am Hut. Auf die Frage, was ihn inspiriere, sagt Leisi: «Ich denke nicht viel, ich mache einfach.» Wie die Beiden mit dem Mund malen, durfte das Publikum anschliessend in einer «Malkostprobe» miterleben.

Beim Podiumsgespräch dabei waren René Aigner vom Kunstverlag Au und Kathrin Spahni, Künstlerin und Ehefrau des verstorbenen Mundmalers Klaus Spahni.

Am Kulturzyklus stehen nicht nur Künstlerinnen und Künstler mit Beeinträchtigung im Mittelpunkt, der Austausch zwischen den Gästen wird genauso geschätzt. «Die Begegnungen sind mir genauso wichtig wie die Kunst!», resümiert ein Besucher der Vernissage den Auftakt des Kulturzyklus Kontrast 2022.

Die rund 80 Kunstwerke sind bis zum 25. November 2022 im 1. Obergeschoss und in der Bibliothek des Fachhochschulzentrums St. Gallen ausgestellt.

Filmgeschichten, die anrühren

Am zweiten Abend machte das Kurzfilmfestival look&roll Halt in St.Gallen. Seit 2006 werden an diesem Kurzfilmfestival Filme über das Leben mit Einschränkungen, Schwächen oder mit Behinderungen gezeigt. Insgesamt wurden sechs Filme gezeigt. Von Geschichten einer gesichtsblinden Frau («Carlotta’s Face») über Menschen, die unter Amyotrophe Lateralsklerose (kurz ALS, eine schwere Erkrankung des Nervensystems) leiden («Just as I remember») und einer jungen Frau im Rollstuhl, die sich mit der Hilfe ihrer Assistentin Ida ein Profil auf Tinder anlegt und sich erhofft ihre Sehnsucht nach körperlicher Nähe erfüllen zu können («Alive»), zogen verschiedenste Filme das Publikum in ihren Bann. «Das Programm war ebenso spannend wie herausfordernd!», sagt eine begeisterte Besucherin.

Wie die Protagonistin des Filmes «Alive» nehmen auch die Selbstvertreterinnen Susi Rutishauser und Karin Zingg ihr Leben selbst in die Hand. Sie arbeiten im Projekt SEGEL der OST mit und haben dort einen Gesprächsleitfaden zum Thema «Selbstbestimmung in schwierigen Entscheiden» entwickelt. In der Podiumsdiskussion anmoderiert von Rudi Maier betonten sie: «Dass wir unsere Anliegen selbst vertreten können und gehört werden, ist uns wichtig.»

Den Verein look&roll gibt es seit 16 Jahren und ist in seiner Form einzigartig. Laut Alex Oberholzer, Filmkritiker und Präsident des Vereins look&roll, habe das Programm mediale Zugänge verändert. Barrierefreiheit in Filmen ist heutzutage nicht mehr wegzudenken – auch dank der Initiative von look&roll. Die Filme berühren auf unterschiedlichen Ebenen, sie zeigen Leid, doch auch die Freuden des Lebens kommen nicht zu kurz.

«Reden über die Unaussprechlichkeit»

«Ich habe so viele Tränen vergossen, damit könnte ich ganze Hallenbäder füllen. Und der Schmerz, den diese Ereignisse hinterliessen, wäre vermeidbar gewesen», resümiert Jennifer Wrona ihre Krankengeschichte. Ihre ernüchternde Bilanz wirft viele Fragen auf – an unser Gesundheitssystem, aber auch an uns alle. Wie geht die Gesellschaft mit psychisch erkrankten Menschen um?

In ihrem Buch «Konfettiregen im Kopf» erzählt die 27-Jährige ihre Geschichte mit der Borderline-Krankheit. Mit 16 Jahren wurde bei ihr die Persönlichkeitsstörung Borderline diagnostiziert. Da hatte sie schon Jahre mit Depressionen, Essstörungen, Selbstverletzungen und Suizidgedanken hinter sich. In ihrem Buch lässt Jennifer Wrona uns teilhaben an den Abgründen ihrer Krankheit und ihrem Weg aus der Hoffnungslosigkeit. Sie erzählt von ihren Aufenthalten in der Psychiatrie, ihren Gefühlen und dem Leben mit der Krankheit.

Dass sie ein wichtiges Thema anspricht, zeigt das grosse Interesse an der Lesung am 27. Oktober 2022 in der voll besetzten Bibliothek des Fachhochschulzentrums. «Ich möchte helfen, Stigmata zu brechen und dazu beitragen, dass es ein wenig leichter wird, über psychische Erkrankungen zu sprechen», so die junge Autorin im Gespräch mit Lotte Verhagen. Ein mutiges Buch einer mutigen junge Frau. Ihre Geschichte enttabuisiert psychische Krankheiten und vermittelt Betroffenen, dass es Hilfe gibt und ein Leben mit der Krankheit möglich ist.

Nach einem Rat für Angehörige gefragt, sagt Jennifer Wrona: «Präsent sein, konkrete Hilfsangebote an Betroffene machen und regelmässig in Kontakt bleiben.» Aber Angehörige sollten sich auch immer gut um sich selbst kümmern und die eigenen Grenzen respektieren. «Denn nur wer sich nicht völlig darin verliert, kann für andere Menschen da sein.»

Radiobeitrag über den Kulturzyklus Kontrast 2022